22/03/2010

„Das stand sehr, sehr viel auf dem Spiel“

Andrew Denison im Deutschlandfunk-Gespräch mit Christoph Heinemann

Christoph Heinemann: Seit einem Jahr und zwei Monaten wohnt Barack Obama im Weißen Haus. In der vergangenen Nacht hat der Präsident sein wichtigstes Versprechen auf den Weg gebracht. Nach hitziger Debatte verabschiedete der US-Kongress das Gesetz zur Gesundheitsreform. Damit wird erstmals fast allen Amerikanern eine finanzielle Absicherung im Krankheitsfall ermöglicht.

Den Bericht unseres USA-Korrespondenten Klaus Remme hat der Politikwissenschaftler Andrew Denison mitgehört. Guten Tag!

Andrew Denison: Schönen guten Tag, Herr Heinemann.

Heinemann: Herr Denison, das war eine sehr hitzige Debatte, wir haben es gerade eben gehört. Sie sind Bürger der Vereinigten Staaten. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Zustimmung erfahren haben?

Denison: Heute Morgen, als meine Frau es mir erzählte, erst mal ein tiefes Aufatmen, denn da stand sehr, sehr viel auf dem Spiel. Ich war aber auch stolz auf mein Land. Es war ein harter Kampf, aber mündige Bürger und E-Mail-Gewitter haben gezeigt, dass man doch fähig ist, Fortschritte zu machen. Das gibt Amerika Macht, sehr viel mehr Macht als globaler Akteur im 21. Jahrhundert. Ja, es war ein guter Tag!

Heinemann: Rund 900 Milliarden Dollar soll dieses Gesetz kosten. Kann sich Ihr Land diese Gesundheitsreform leisten?

Denison: Eindeutig! Es ist schon bezahlt, und mehr noch: Es wird Kosten reduzieren, sodass aus der Verschuldung in zehn Jahren man fast 200 Milliarden weniger Verschuldung hat. Es ist auch wichtig, diese Zahl 940 Milliarden Dollar über zehn Jahre im Verhältnis zu halten, dass wir 94 Milliarden Dollar im Jahr zusätzlich haben, um eine Versicherung für arme und die, die sie noch nicht haben, anzubieten. Aber der amerikanische Staat jetzt mit seiner Krankenversicherung für alle Leute, die über 65 sind, „Medicare“ heißt das, und den armen Leuten, gibt schon im Jahr 676 Milliarden Dollar aus für die bestehende Krankenversicherung für Senioren. Dazu zu diesen 676 kommen noch 10 Milliarden im Jahr. Ich denke, das lässt sich rechtfertigen.

Heinemann: Wieso hat Obama geschafft, woran sein Parteifreund und demokratischer Amtsvorgänger Clinton gescheitert ist? Wir haben eben diese Vorwürfe gehört: Absprachen in Hinterzimmern, Backroom Deals. War es das?

Denison: Obama ist ein sehr begabter Politiker, wie ein guter Basketball-Spieler. Er weiß auf der einen Seite, dass am Ende es zählt, wie viele Körbe man getroffen hat, aber man muss auch den Ball übers Feld bewegen. Er hatte dieses Gesetz so am Ende unterstützt, dass eine kritische Masse zu haben war. Am Anfang viel Kritik, dass er es nur im Kongress gelassen hat, aber dann wollten sie seine Führung. Als Hillary Clinton das versucht hat, hatte man das Gefühl im Kongress, es ist denen aufoktruiert worden. Diesmal ist es anders passiert, also bessere Politik.

Zweitens mehr Notwendigkeit. Nicht nur das Ungerechte und Teuere, die Unversicherten, sondern die Tatsache, dass ein modernes Land ein rationales Gesundheitssystem haben muss, das letztendlich ein Sechstel, ein Fünftel der gesamten Wirtschaft jetzt schon aufnimmt, und die Vergreisung der Gesellschaft macht das alles noch zu einer größeren Herausforderung.

Heinemann: Eine bessere Politik, haben Sie eben gesagt, vielleicht auch noch eine bessere Pädagogik. Dennoch ja große Ablehnung auch bei den Republikanern. Wie erklären Sie sich, oder wie erklärt man Mitteleuropäern diese Ablehnung?

Denison: Da sind zwei Gründe. Erstens: Die Republikaner haben sich aus Taktik für die Zwischenwahlen, die im November 2010 jetzt bald anstehen, für die Ablehnung entschieden, denn die dachten, vielleicht können wir Obama wirklich dadurch stürzen, denn die Macht, die er dadurch gewinnt, ist erheblich. Das war ihre politische Taktik.

Es gibt auch Unterstützung für diese Ablehnung, besonders in der republikanischen Partei, aus zwei Gründen. Erstens: Sie meinen nicht, dass sie als Steuerzahler die Verantwortung gegenüber denen haben, die sich nicht versichern, die jungen, die „twenty somethings“, die ihre ganze Zeit nur mit Spaß verbringen, dass der einfache Steuerzahler diese Pflicht nicht haben soll. 

Und zweitens, dass der Staat keinen dazu zwingen soll, Krankenversicherung zu kaufen, wie man zum Beispiel Haftpflichtversicherung beim Autofahren kauft. Die Amerikaner in der republikanischen Partei wollen ja den Staat begrenzen, also Finger weg von einer Entscheidung über Krankenversicherung.

Heinemann: Und Finger weg vom europäischen Wohlfahrtsstaat, wie das eben formuliert wurde. – Sie sprachen eben von einem Machtzugewinn. Wozu wird Obama diesen Zugewinn nutzen, oder könnte er ihn nutzen?

Denison: Dies ist ein Teil seines sogenannten neuen Fundaments, um erstens der amerikanischen Wirtschaft breiter definiert Wertschöpfung für Amerikaner und andere, einen neuen Motor zu geben, oder eine Aufrüstung auf eine bessere Software, eine reformierte, rationalisierte, billigere und gerechtere Gesundheitsreform. 

Zweitens in der Bildung, von der Vorschule bis zur Universität, da auch eine völlig neue und größere Rolle der Bundesregierung und drittens alternative Energien als neues Betriebssystem der Zukunft. Und wenn Amerika seine Wirtschaft dann wieder auf drei, vier Prozent Wachstum plus sehr viele Einwanderung reformiert hat, hat Amerika in einer Welt, die immer älter wird – und die Europäer sind ziemlich zerstritten unter sich; China und Indien haben auch ihre Probleme –, weiterhin eine zentrale, dominierende Rolle.

Für Europa? – Man könnte sagen, Europas Zeit ist vorbei. Oder man könnte Europa atlantisch definieren und sagen, Europa und Amerika, das ist weiterhin Kern des Geschehens und Quelle des Fortschritts für die ganze Welt.

Heinemann: Herr Denison, ein Demokrat hat diesen 21. März verglichen mit den Bürgerrechtsgesetzen der 60er-Jahre. Hat sich Barack Obama heute Nacht seinen Platz in den US-amerikanischen Geschichtsbüchern gesichert?

Denison: Es ist als historisch definiert in den Schlagzeilen. So sehen wir das jetzt. Ob sein Kopf jetzt gemeißelt wird in irgendwelche Felsen, da müssen wir sehen, wie es in 2013 oder 17 aussieht. Aber es war historisch und Obama ist schon ein historischer Präsident, und diese Feder geht auch noch an seinen Hut.

Heinemann: Ist denkbar, dass ein künftiger republikanischer US-Präsident diese Krankenversicherungsreform wieder rückgängig machen wird?

Denison: Nein, auf keinen Fall. Die ganze Paradoxie hierbei ist, dass die Republikaner schimpfen, dass Obama die Staatsausgaben für die Senioren-Krankenversicherung Medicare noch kürzen und rationalisieren will. Die Republikaner kritisieren gleichzeitig, dass Obama irgendwie den Stecker bei Oma ziehen will, weil er ja doch ein bisschen Rationalisierung der medizinische Pflege für Senioren vorbei bringen will. Aber es gibt eine zu große Lobby für Gesundheitsvorsorge in Amerika. Obama hat auch die Krankenversicherung dazu gewonnen, weil er sagt, ihr kriegt 30 Millionen mehr Kunden, dafür müsst ihr aber sofort anfangen, alle Kinder reinzunehmen, die Leute, die eine Krankengeschichte haben, die müssen dann auch einen Platz bekommen. Also all das, was eine Stiftung Warentest haben wollte von einer Krankenversicherung, das hat er durchgeboxt und das sollte jetzt im November bei den Zwischenwahlen gut aussehen für ihn.

Heinemann: Wann ungefähr wird dieses neue Gesetz jetzt in Kraft treten? Wer wird davon profitieren?

Denison: Da kommt jetzt die große Zeremonie in dieser Woche. Erst mal hat er im Repräsentantenhaus das Gesetz vom Senat, das Hohe Haus, verabschiedet und das landet bei Barack Obama und der unterschreibt es mit seiner linken Hand. Das wird Mittwoch oder Dienstag schon passieren. Im Senat gibt es dann noch die Verabschiedung von den Zusatzgesetzen, die das Repräsentantenhaus verabschiedet hat, die noch ein paar so Kompromisse darstellen. Das werden die mit einer einfachen Mehrheit machen. Die Republikaner werden schimpfen, weil die meinen, das ist unfair, diese parlamentarische Prozedur, aber die kriegen es durch. Trotzdem, ein paar Mal mehr Feuerwerk in dieser Woche für Barack Obama und das amerikanische System.

Heinemann: Der Politikwissenschaftler Andrew Denison. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.