22/12/2012

Einsichten aus dem Land des Schießgewehrs

Wochenkommentar von Dr. Andrew B. Denison für Deutschlandfunk Kultur

Ich wollte mit meinen Freunden Cowboy und Indianer spielen. Ich war fünf Jahre alt und lebte im Wilden Westen, in Laramie, Wyoming. Auf der Terrasse des Nachbars fand ich ein kleines, schönes Gewehr. Das Spiel fing an. Wir hatten Spaß. Bis mein Vater uns ertappte. Das Kaliber.22 Gewehr war geladen. Es war scharf. Ich hatte Glück. Die Sicherung funktionierte. 

Unsere Familie hatte keine Waffen zu Hause, jagen waren wir nie. Sehr zu meinem Bedauern. Wir waren eine Ausnahme im Bundesstaat Wyoming. Der eine oder andere Deutschlandradio-Zuhörer weiß es vielleicht, in keinem Bundesstaat gibt es mehr Waffen pro Kopf als in Wyoming. In diesem bei Deutschen sehr beliebten Wilden Westen sind Schieß-Gewehre an den Rückscheiben der Pickup-Trucks allgegenwärtig. Jedes Straßenschild ist durchlöchert. 

Als ich selbst 18 wurde, kaufte ich mir ein gebrauchtes Jagdgewehr und hatte bald ein großes Reh in der Garage hängen. Ich bin auch in die Nationalgarde eingetreten. Wollte mich verteidigen können, wollte mit großen Waffen rumballern. So war das Aufwachsen in Laramie, Wyoming, im Land des Schießgewehrs.

Heute, in Wyoming, wie im ganzen Land, ist die Zahl der Waffenkäufe mit der Amtsübernahme von Barack Obama stark gestiegen. Mit Obama ist auch die Zahl der Amerikaner, die das Recht auf den Besitz einer Waffe eher schützen als einschränken möchten, dramatisch gestiegen. Zum ersten Mal seit vor den Attentaten auf Präsident Kennedy und Martin Luther King wollten nach Obamas Wahl eine Mehrheit der Amerikaner die Waffengesetze lockern. Die Waffenliebe sitzt tief, sehr tief – besonders bei enttäuschten Republikanern. 

Denn – mehr als alles andere bedeutet die Waffe für viele Amerikaner die ultimative Sicherheit. Daher kommt die Leidenschaft bei diesem Thema. Selbst nach der Tragödie von Newtown sagen uns die Meinungsforscher, dass die meisten Amerikaner meinen, Waffenbesitz schütze eher vor Kriminalität, als dass es die öffentliche Sicherheit gefährde. Es geht um das Überleben, wie damals an der Frontier. Also ist die Zahl der gekauften Waffen mit dem Massaker von Newtown nicht abgestürzt, sondern sehr gestiegen.

Es stimmt, die Zahlen von Waffenbesitz und Schussopfern in den USA sind haarsträubend. Amerikaner bringen sich mit ihren Waffen in einer Rate um wie sonst nur in Krisenstaaten. Sechs Mal so viele Schusswaffen-Tote wie in Deutschland. Da ist schon etwas schief. 

Newtown hat Amerika nicht nur schockiert, sondern auch zum Handeln provoziert. „Jetzt reicht´s!“ hört man immer wieder. Die Institutionen reagieren. Der siegreiche Präsident, aufgestiegen in den Meinungsumfragen, hat bei seiner Trauerrede in Newtown zu klaren Maßnahmen aufgerufen. Seine Wählerschaften wollen Taten sehen. Und manche Gegner der Waffenkontrollen im Kongress haben sich in den letzten Tagen zu moderateren Standpunkten bewegt.

Amerikaner sind nicht bereit, ihr Urrecht auf Waffenbesitz aufzugeben, doch aber, es einzuschränken. Meinungsumfragen zeigen Mehrheiten für Verbote der Schnellfeuer-Waffen mit großem Magazin, und für viel strengere Hintergrundkontrollen. Ein Etappensieg der Waffenkontrolleure wird nach Newtown gut möglich. Ob neue Verbote das tieferliegende Problem der Waffenkultur lösen oder erschweren werden, bleibt abzuwarten.

Diese Waffenkultur zu mäßigen, die Waffen und die Waffenmetaphern aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen, dies wird auch nach Newtown schwieriger sein, als neue Gesetze zu verabschieden. 

Es bleibt zu hoffen, in diesen Adventstagen, dass die Amerikaner den Glauben, nur der bewaffnete Bürger sei ein sicherer, mündiger Bürger, jetzt heftiger widerlegen werden; dass die Amerikaner die Exzesse ihre Freischärler-Mentalität zurückdrängen können; und dass das Cowboy-und-Indianer spielen ein Spiel bleibt — der Kinder wegen.