29/01/2013

Obamas Amerika in der Welt von Morgen—Die Betroffenheit Deutschlands

Von Dr. Andrew B. Denison

Mit Barack Obama geht es jetzt zügig weiter—bis zum 20. Januar 2017. Leistung hat der Präsident in seiner ersten Amtszeit gebracht, Enttäuschung auch. Jetzt ist er ein wiedergewählter Präsident—und das ist etwas ganz besonderes. Steht ein Präsident zum zweiten Mal auf dem Kapitol-Hügel und spricht seinen Amtseid aus während er hinausschaut auf die versammelte Menge und die bevorstehenden vier Jahre, gehört dieser Präsident zu denen, die nicht mehr in den Wahlkampf ziehen müssen. 

Im Land der permanenten Wahlkämpfe gibt dies dem Präsidenten einmaligen Einfluss, ob er George W. Bush, Bill Clinton, Ronald Reagan, Richard Nixon, oder Dwight Eisenhower heißt.

Dieser Barack Hussein Obama hat aber mit seiner Widerwahl etwas mehr gebracht als die vor ihm. Mit seinem grauen Haar ist auch die Erkenntnis gewachsen, wie sehr er das neue, sich verwandelnde Amerika verkörpert. Mit seiner Mutter aus Kansas und seinem Vater aus Kenia, mit seiner guten Ausbildung und seinem sozialen Engagement, mit seinem offenen Herzen und seinem progressiven Pragmatismus entspricht er einem wachsenden Teil der politischen Kultur des Landes—vor allem den jungen, weiblichen und farbigen Amerikanern. 

Seine Wiederwahl sagt uns: 2008 war keine Ausnahme, kein schwarzer Schwan. Seine respektablen 51,1 Prozent der abgegeben Stimmen spiegeln einen tiefergreifenden Wandel der amerikanischen Kultur, auch der amerikanischen Demografie, wieder. Deutschland, in seiner einmaligen Beziehungen zu Amerika, wird von dieser weiteren Globalisierung Amerikas im Kern betroffen sein.

Die Globalisierung Amerikas
Die Globalisierung Amerikas schreitet voran—ein Zweiklang des amerikanischen Geistes und der amerikanischen Technologie. Seine Einwanderer kommen diesem Amerika mal wieder zugute, halten es jung. Der weiße, unausgebildete Mann wird seltener, die Republikaner erstmals auch. Obama kann hoffen, dass die Renditen des ausgegebenen politischen Kapitals—Automobil- und Bankenrettung, Bildung- und Gesundheitsreform—in seiner zweiten Amtszeit weiter steigen. Schon jetzt bietet die amerikanische Gas- und Öl-Revolution eine völlig neue Art von Wohlstand und Produktion, und einen Weg aus der Abhängigkeit der importierten Fossilbrennstoffe. 

Die Auswirkung auf die Petrostaaten rund um die europäische Peripherie—von Sibirien über Zentral Asien, Persien, Saudi Arabien bis nach Algerien—ist noch unklar, aber Deutschland wird auf jeden Fall betroffen.

Mit einer breit gefächerten Erneuerung Amerikas kommt eine Bestätigung und Ermächtigung dieses 44. Präsidenten. In den Meinungsumfragen steht er mit 53 Prozent Zustimmung so hoch wie noch nie seit dem August 2009, als er das Amt erst übernahm—und gerade sein 787 Milliarden Dollar Konjunkturpaket durch beide Häuser des Kongresses gejagt hatte. Um den amerikanischen Wirtschaftsmotor jetzt wirklich zum Laufen zu bringen, muss er allerdings noch einiges leisten.

Ein gemeinsamer Plan zur Lösung der gigantischen Staatsdefizite muss kommen. Entsteht minimaler Konsens über Weg und Vision einer Haushaltskonsolidierung, sind die politischen Geister und Gemüter des Markts beruhigt. Sind neben den Demokraten im Repräsentantenhaus auch 50 bis 60 oder mehr Republikaner zu bekommen (wie neulich bei Steuererhöhung und Hurrikane-Sandy-Hilfe), lässt sich einiges aus dem Reformstau erledigen. Kommt ein Fiskalplan, kann das Geld wieder in die Innovation fließen. Nachfrage gibt es genug auf diesem Planeten, neue „Frontiers“ auch.

Hierfür muss Obama die heilige Kuh der Demokraten, die staatliche Altersvorsorge und Alterskrankenversicherung, nicht zum Schlachten tragen—doch aber zum erheblichen Abspecken bringen. Die Kosten der amerikanischen Senioren wachsen über die Hälfte des Bundeshaushalts hinaus. Washington wird zu einer gigantischen Versicherungsanstalt für alle über 65. Vor allem sind diese Rentenverpflichtungen jetzt dazu programmiert, die Staatskassen Amerikas zu sprengen.

Die Vermeidung dieser Kassen-Insolvenz ist so einfach wie schwer. Der goldene Seniorensozialismus Amerikas muss sich ändern. Die jung-geistigen ´68er müssen länger arbeiten als ihre Eltern. Dank eines sich ständig verbessernden Gesundheitssystems wird dies auch immer einfacher möglich—selbst wenn schon jetzt die American Association of Retired Persons (AARP)eine der größten(40, 000,000 Mitglieder) und reichsten (22 Million Dollar 2010) Lobby-Organisation in Amerika ist. Lässt Amerika seine Staatsquote von 40,2 Prozent (2012) auf das sehr angenehme bundesdeutsche 45,0 (2012) ansteigen, gäbe es auch genug Geld.

In Betrachtung dieser Lösungsmöglichkeiten ist das amerikanische Theater um die Fiskalpolitik nicht so sehr ein tiefgreifendes Strukturproblem wie ein Luxus dieses starken, sicheren, wenn auch chaotischen politischen Systems. In den Monaten nach 9/11 genoss George W. Bush Zustimmungsraten von über 80 Prozent. Das Land kann sich einigen. Mehr noch, dieses Theater der leeren Drohungen hat den Republikanern viel mehr geschadet als den Demokraten. Obamas Einfluss wird noch steigen. Die Konkursverwaltung der amerikanischen Wirtschaft, wie sie in den letzten Jahren gelaufen ist, scheint ihr Ende langsam zu erreichen. Gesundes Wachstum steht bevor.

Die Konsolidierung der amerikanischen Weltpolitik
Die Konkursverwaltung festgefahrener Projekte der geerbten Außenpolitik, ob von George W. Bush oder vor ihm, dauert an. Gleichzeitig setzt Obamas Regierung weiter auf neue Initiativen. Und ja, die pazifischen Anrainer und ihre heranwachsenden Milliarden bekommen jetzt von Amerika mehr Aufmerksamkeit. Der Präsident hat jetzt die Möglichkeit langfristig zu denken— wenn nicht für die Geschichtsbücher, dann für seine Kinder und Enkelkinder. 

Europa kann nur davon profitieren, dass Amerika sich verantwortungsbewusst und langfristig in Richtung Asien wendet. Klimapolitik allein wäre schon Grund genug, dies zu tun. Hillary Clinton, in ihrer Abschiedsrede über Amerika und Europa, unterstreicht hierbei, sie wolle mit Europa gegenüber Asien ein „gemeinsames strategisches Engagement“.

Europa muss sich zugleich damit befassen, dass Amerika künftig im Nahen Osten eine andere Rolle spielen wird. Der NATO-Luftkrieg gegen Gaddafi und seine Regierung gilt in Washington jetzt als Musterbeispiel der neuen amerikanischen Rolle im Nahen Osten und Nordafrika. Solange keine Angriffe gegen Amerika kommen, wird die amerikanische Militärpräsenz schwinden, auch aus Europa. Aber die Interessen bleiben. Amerika weiß ja: Europa, auch Deutschland, erkennt schon jetzt, dass dieser sehr Nahe Osten nicht einfach abgeschrieben werden kann. Obama hat, so meinen die meisten, den Krieg in Irak „verantwortungsbewusst“ beendet. Er hat weitere offene Positionen im Ausland abgewickelt, wie die Zahlen unterstreichen. 

Von fast 900,000 US-Truppen im Ausland im Jahr 2009 ist die Zahl bis 2013 auf 200,000 gefallen. Keine Siegeszüge, aber vielleicht ein bisschen mehr Opportunität und Nachhaltigkeit für Afghanistan und Irak; diesen Teilerfolg sollte man Amerika und seinen Partnern der letzten Jahre zugestehen. Friedlich ist der Nahe Osten allerdings nicht – das wissen die Europäer inzwischen so gut wie die Amerikaner.

Es gibt einen alten Grundsatz der amerikanischen Hegemonialpolitik: Sorge dafür, dass die Freunde, Verbündeten und Partner Amerikas mehr Angst vor den Feinden Amerikas haben, als vor Amerika selbst. Auch in der Außenpolitik ist es oft besser, wenn der Größte von hinten führt. Das lernte Obama, der Harvard-Absolvent, schon in seinen jüngeren Jahren in Süd-Chicago, als er versuchte,das Präkariat in den „projects“ zu organisieren—in dem er sie erstmals einfach zu hörte. Wenn der Economist also „Time toEngage“ als Titel ihres Briefings über Obamas Außenpolitik benutzt, scheint es so, als ob Obama genau das richtige tut.

Obama hat mit seiner Nominierung von John Kerry und Chuck Hagel, als Außen- bzw. Verteidigungsminister, zwei Vietnam-Veteranen das Kommando über die Außenpolitik gegeben—zwei verwundeten Soldaten, die dem Einsatz von amerikanischer Militärmacht äußert skeptisch gegenüberstehen. In ihren neuen Ämtern als Hüter des Friedens und amerikanischer Interessen werden sie in dem weiteren Abbau der offenen militärischen Positionen einen vernünftigen, progressiven Pragmatismus zeigen müssen—so wie ihr Präsident. Alle wissen, wie die Herzen dieser Veteranen schlagen: Hagel und Kerry vertreten die Art von Amerikaner, die Europäer lieben—die allerdings genau deswegen bei einem Großteil des roten, republikanischen Amerikas sehr skeptisch gesehen werden.

Sollte die neue US-Diplomatie der Zurückhaltung scheitern, sollte jemand Obamas ausgestreckte Hand ausschlagen, sind diese alten „Kriegstauben“ glaubwürdiger, wenn sie dann doch nach militärischen Maßnahmen rufen. Dann ist die Konsensbildung für Obama einfacher—sowohl zu Hause wie auch in der Welt – erinnern wir uns an George W. Bush und den hochgeachteten Colin Powell.

In seinen nächsten vier Jahren als Präsident kann Obama erwarten, dass China wichtig, und der Nahe Osten aufdringlich bleiben. Nicht nur in Deutschland hofft man auf hehre Ziele wie Frieden zwischen Israel und Palästina, ein Ende des blutigen Bürgerkriegs in Syrien, ein Abkommen mit Iran über die Begrenzung der Atomtechnologie, ein Aufblühen des arabischen Frühlings in einem friedlicheren, freieren und wohlhabenderen Nahen Osten. 

Wir alle hoffen, dass der von Obama oft zitierte Martin Luther King recht behält: ”The arc of the moral universe is long, but it bends toward justice.“ Aber der Realist in Obama weiß wohl – wenn Amerika versucht, alle Probleme der Welt zu lösen, wird es kein einziges wirklich lösen. Es gibt keinen Zauberstock, keinen Knüppel, der Lamm und Löwe zusammenzwingen kann, auch nicht im Westjordanland.

Eine renommierte Denkfabrik an der Massachusetts Avenue in Washington DC, The Brookings Institution, schreibt für den Präsidenten ein Briefing Book, in dem die künftigen Möglichkeiten und Gefahren der nächsten Jahre als Memoranden aufgearbeitet werden. Diese Liste der „Big Bets“ (der großen Wetten) und der „blackswans“ (der schwarzen Schwäne) zeigt eine Welt auf, die Deutschland auch nicht fremd ist.

The Big Bets sind die vielversprechendsten Möglichkeiten, etwas Besseres zu erreichen. Sie heißen:
Beijing wieder reinbringen; die Indien-Investition; Teheran gewinnen; der Weg über Damaskus hinaus; Öffnung nach Havanna; Energie und Klima: Von Schwarz über Gold bis Grün; Freier Handel als Impulsgeber; Beruhigung der fernöstlichen Meere; Neue Gesetze des Krieges; ein neuer START-Vertrag.

The Black Swans sind die lauernden Gefahren, deren Wahrscheinlichkeit schwierig einzuschätzen ist. Sie heißen:
China in Revolution und Krieg; Das Aus der Eurozone; Konfrontation über Korea; Chaos in Kabul; Revolution in Riyad; Zusammenbruch von Camp David; Ramallah löst sich auf; das große Auftauen.
Auch in Deutschland wachsen neue Generationen mit neuen Weltanschauungen an. Sie wissen schon, was auf sie zukommt. Die Gesinnung für Nachhaltigkeit entwickelt sich weiter, stellt die neuen Generationen auf die größeren Probleme ihrer erweiterten Nachbarschaft ein.

Dennoch bleibt eine der größten Fragen bei Obamas Außenpolitik die der künftigen Rolle Europas. Ist ein starkes, geeintes, offenes, engagiertes Europa dabei, wird für Obama alles besser. Dies hängt wiederum sehr stark von einem starken, geeinten, offenen, engagierten Deutschland ab.

Die Konzentration auf das Kerngeschäft Amerikas muss bleiben, seine Innovationsmacht ist vor allem zu erhalten, zu erneuern. In der Konzentration darauf, die amerikanische Wirtschaft anzukurbeln, sich für die langfristigen Probleme zu wappnen, ist die regionale, selbsttragende Lösung der globalen Krisen mehr und mehr die gewünschte Variante. Man hört: Amerika wird weniger die „essenzielle“ Nation als die „katalytische“. Empowerment, die Ermächtigung der anderen, die globalen Herausforderungen mit zu meistern, darum geht es. Dies gilt auch für die Staaten Europas, Amerikas wichtigsten Partnern.

Europa als Schlüsselstein
Europa, sagt die Obama-Regierung, ist „Schlüsselstein“ für alles was Amerika in der Welt machen will. Reich und gleichgesinnt, sind Amerika und Europa in der strategischen Geografie zutiefst gebunden. In unserer Zeit bleiben die Grenzen Europas die Grenzen des Westens. Rund um Europa liegen die strategischen Brennpunkte, die Washington am meisten Sorgen machen.

Per Geografie und Demografie hat dieses Europa zudem eine existentielle Beziehung mit dem Nahen Osten. Das Mittelmeer als Mare Nostrum ist nicht nur europäische Geschichte, sondern auch europäische Zukunft. Nur so ist Europa demographisch und wirtschaftlich der Zukunft gewachsen. Amerika und Europa brauchen einander im Nahen Osten und Nordafrika wie noch nie zuvor.

So wie Amerika kann sich Europa es nicht leisten, sich nur mit den inneren Problemen zu beschäftigen. So wie Amerika ist die umliegende Welt zu sehr mit dem eigenen Frieden, der Freiheit und dem Wohlstand verbunden, um sie ignorieren zu dürfen, um nichts in die gute Nachbarschaftspolitik zu investieren.

Gute Nachbarschaftsbeziehungen mit China zu haben ist für die ganze Welt wichtig, aber besonders für das sich erweiternde Europa, und noch mehr für das globalisierte Amerika. Amerika muss sich auf ein friedliches, freies, wohlhabendes China einrichten—und alles tun um China auf diesem Weg zu helfen— das schliesst einen Beitrag zur Stärkung sauberer Energie in China ein. Gleichzeitig muss Amerika sich auf eine Regierungskrise in China gefasst machen. Denn so erstaunlich wie das chinesische Wachstum der letzten Jahrzehnte sein mag, ist der Marxismus-Maoismus-Kommunismus nicht unbedingt für das Informationszeitalter gewappnet. 

Mehr noch, die externalisierten Kosten des Wachstums holen China bald genug ein—ob beim Umweltschutz oder der Altersvorsorge oder der Korruptionsbekämpfung. Welches China auch immer, intensivierter Dialog und Austausch erweitern das Verständnis, wenn nicht unbedingt den Einfluss. Gute Nachbarschaftsbeziehungen mit den Ländern rund um China zu pflegen, gehört auch zum Umgang mit dem Pazifischen Giganten. Verfolgen Europa und Amerika gleiche Ziele, sind Europa und Amerika geeint in ihrem Versuch, China zu globalisieren, China an das internationale Regelwerk zu binden, kann der Aufstieg Chinas mit Gelassenheit willkommen geheißen werden.

Deutschlands Betroffenheit 
Dass Amerika die Welt ruhig hält, so dass Deutschland sich darum kümmern kann, Europa zu retten und es für die Zukunft zu stärken, das ist sicher eine der wichtigsten Interessen Deutschlands in dieser zweiten Amtszeit von Barack Obama. Natürlich ist es für Amerika von größter Bedeutung, dass Europa einen Weg aus der Armut und Arbeitslosigkeit seines Südens, aus der Handlungsunfähigkeit seiner Institutionen findet. Alles was Europa schnelleres, nachhaltigeres Wirtschaftswachstum bringt, tut daher Obama und Amerika gut. 

Dass ein schneller wachsendes Europa mehr Geld für den Kauf von amerikanischem Erdgas und amerikanischer IT hat, ist nicht ohne Konsequenz. Das Deutschlands Beitrag zur Einigung und Stärkung Europas eines der wichtigsten Interessen Amerikas ist, wird nicht immer öffentlich artikuliert. Europa ist zwar ein Projekt aller europäischen Staaten, aber Deutschlands Rolle als Schlüsselstein des europäischen Wirtschaftswachstums ist allen gut informierten Amerikanern bewusst.

Deutschland gewinnt viel im atlantischen Markt; in dessen innovativer Wertschöpfung liegt auch Deutschlands Zukunft. Ob bei Energie und Autos oder Telekommunikation und Humanmedizin oder Bildung und Wissenschaft oder Tourismus und Unterhaltung, Deutschlands Innovationspotential ist tief eingebettet in einer atlantischen, zunehmend globalisierten Wissensbasis.

Gleichzeitig genießt kaum ein anderes Land der Erde so viel Einfluss in Washington wie Deutschland. Dies ruht auf tiefgehendem, breiten Vertrauen, auf Jahrzehntelang geübter Zusammenarbeit, auf großen, gemeinsamen Erfolgen, und auf vielen angehenden Projekten. Amerika, so scheint es manchmal, habe mehr Interesse an der europäischen Einigung als Deutschland selbst. Auf jeden Fall (und Großbritannien weiß dies auch) ist Deutschland für Amerika der Schlüsselstein für die europäische Einigung und den Erhalt des Euros. 

Trotz mancher Kritik aus Washington genießt das Deutschland der gelungenen Wiedervereinigung höchste Achtung quer durch den großen amerikanischen Kontinent. Manche Amerikaner wissen auch, dass das Beste in Amerika immer ein bisschen „Made in Germany“ mit dabei hat.
Als Handelspartner sind Amerika und Europa zusammen die weltgrößten Märkte, die Weltzentren der Wertschöpfung und Innovation. Deutschland ist zweifelsohne ein Mitgestalter der Weltwirtschaft, bilateral mit den USA, sowie in der EU, IWF, G-8 oder der G-20. 

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sind tief verwickelt in allerlei internationale Lösungsansätze. Deutschland und USA profitierten von der Öffnung des atlantischen Marktes. Eine atlantische Freihandelszone zwischen USA und EU, die schnelleres Wachstum ohne Steuererhöhung oder Ausgabenkürzungen verspricht, ist ein anstehendes Projekt. Ohne großen Beitrag von Export-Meister Deutschland ist weder Europa noch Washington dafür zu gewinnen, so sehr die Obama-Regierung vom „nicht-gehobenem Potential des transatlantischen Marktes“ schwärmt. Schließlich wollen Deutschland und Amerika die Märkte Asiens weiter integrieren, in neue Regelwerke einbinden. Mit offenen Grenzen, sauberer Energie, sicheren, freien Informationsnetzwerken, und gesunden, zufriedenen Bevölkerungen gibt es auch für Asien blühende Landschaften. Und das ist gut so.

Deutschland gewinnt in Washington Einfluss durch seine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Abwicklung des Afghanistan-Engagements. Viertausend gut ausgebildete, gut ausgerüstete deutsche Soldaten sind in Afghanistan nicht zu übersehen. Die Bedeutung dieser Armee im Einsatz, die mitten in einer gewaltigen Neuausrichtung steht—samt Abschaffung der Wehrpflicht und einer Senkung der Truppenzahl von 235,000 auf 185,000—ist im Pentagon nicht zu übersehen. Die Bundeswehr wird kleiner, aber auch besser kapitalisiert; es gibt mehr Geld pro Soldat, auch Eurofighter und A400M, Fennek und Boxer. Das sieht man in Washington schon gern. 

Trotz knapper Kassen schickt Deutschland Patriot III Luftabwehreinheit samt 400 Soldaten in die Türkei. Mit Hilfe von Deutschlands Transall-Flotte fliegen Soldaten und Geräte aus Afrika und Europa nach Mali. Jeder deutsche Beitrag zu funktionierenden Institutionen und dem Ausbau einer Zivilgesellschaft ist in Washington auch willkommen—ob dies Deutschlands wirklicher komparativer Vorteil ist oder nicht. Amerika hat auch Verständnis dafür, dass die Rettung des Euros Priorität über die Erhöhung des deutschen Verteidigungsetats hat.

Im schwierigen Umgang mit Iran spielt Deutschland eine zentrale Rolle—ob in dem E3-Plus-3Format der Verhandlungen mit der iranischen Regierung, oder in seiner Rolle als Irans größter Handelspartner. Ohne Deutschland gäbe es keine EU Embargo für iranisches Öl. Deutschland muss sich allerdings damit beschäftigen, was passiert, wenn Iran „nein“ sagt—weil die innere Legitimation der Ayatollahs vom Feindbild USA abhängt. Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass Iran keine Atomwaffen entwickelt, dass Iran keine Raketen mit Reichweiten, die Deutschland treffen können, entwickelt, dass die Straße von Hormuz und die Ölhähne des Persischen Golfs offen bleiben. 

Nur Russland profitiert von einer Schließung der Straße von Hormuz, von einem dramatischen Anstieg der Öl- und Gaspreise. Sind die deutschen und amerikanischen Interessen auf Linie, so sind sie im atlantischen Verbund auch erfolgreicher durchsetzbar—selbst wenn der UNO-Sicherheitsrat blockiert ist.

Russland ist nicht wegzudenken, nicht für Deutschland, auch nicht für Amerika. Wie mit den Beziehungen mit China muss man auf ein friedliches, freies, wohlhabendes Russland hoffen. Man muss auch für negativere Entwicklungen gewappnet sein. Kurzfristig werden die Beziehungen mit Moskau frostig bleiben, besonders bei der NATO Raketenabwehr (mit Hauptquartier in Ramstein), der iranischen Nukleartechnologie, und der Zukunft Syriens. Langfristig werden die Fossilbrennstoffe Russlands weniger wert sein. Ohne Rechtstaatlichkeit werden Investitionen in Russland ebenfalls weniger wert. China wird aus dem Osten auf Russland einwirken, der Islam aus dem Süden. 

Ist Balance in der russischen Geopolitik wichtig, so wird Moskau in einer europäischen Berufung seinen Halt suchen. Auch wenn die Taiga taut und das arktische Eis schmilzt, bleiben die Beziehungen zwischen Amerika und seinen europäischen Freunden einerseits, und Russland anderseits, von Kälte gefährdet. Und trotzdem stehen Deutschland und Amerika im Vordergrund bei der Suche nach Fortschritt und Zusammenarbeit in den schwierigen Nachbarschaftsbeziehungen mit Russland—und seinen Günstlingen Weißrussland und Ukraine. Die arabischen Aufstände der letzten zwei Jahre erinnern daran, wie schnell die weltpolitische Lage sich ändern kann. Sie erinnern auch an die Brüchigkeit autoritärer Regierungen, und an den Blutzoll, den solche Regierungen verlangen können.

Deutschland hat seine eigenen Interessen. Deutschland sollte seine Akzente, sein Können in die Beziehungen mit den Europäern, und mit den Amerikanern, einbringen. Diese Interessen zu identifizieren und artikulieren, in die innen- wie außenpolitische Willensbildung einzubringen, gehört zur wichtigsten Aufgabe der deutschen politischen Klasse. In der klaren Definition der Interessen liegt auch die Möglichkeit der verbesserten Zusammenarbeit, der verbesserten Rollenteilung. 

Diese Herausforderung stellt sich für Deutschland in Europa, aber sie ist mindestens so wichtig für Deutschland in seiner Beziehung mit einem globalisierenden, aufsteigenden Amerika. Solange Deutschlands Frieden, Freiheit und Wohlstand von einem sich integrierenden Europa abhängt, wird Deutschland von Amerikas fundamentalem Interesse an einem geeinten Europa (und einer sicheren europäischen Peripherie) auch profitieren. 

Natürlich liegt für Deutschland in dieser doch nicht gleichrangigen Beziehung immer die Gefahr, dass Amerika sich ungünstig verhält, Deutschland in einen ungewollten Krieg zieht, oder, wenn auch unwahrscheinlicher, Deutschland und Europa vor neuen Bedrohungen allein stehen läßt. Die Geschäftsgrundlage zwischen den beiden Ländern breitet sich trotzdem in immer mehr gemeinsame Projekte, in immer mehr gemeinsame Möglichkeiten aus. 

Die heranwachsenden Deutschen, sie verstehen sich jetzt schon gut mit den heranwachsenden Amerikanern; in der Welt von Morgen werden sie eine ganze Menge gemeinsam erreichen.