Von Dr. Andrew B. Denison
Der aktuelle Spionage-Fall macht bei den deutsch-amerikanischen Beziehungen zweierlei deutlich: Die Amerikaner haben beschränktes Vertrauen in die Deutschen; die Deutschen haben beschränkten Einfluss in Washington. Dass die Deutschen die Amerikaner beschränkt vertrauen und dass der amerikanische Einfluss in Berlin beschränkt bleibt, das wusste man schon. Zwar schwächt dieser Spionage-Fall den Westen in einer ungünstigen Zeit, wo es rund um Europa brennt. Die Deutschen wollen aber die deutsch-amerikanischen Beziehungen wohl wieder einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen.
Viele im Land beklagen die digitale Besatzungsmacht samt totalitärem Sammelwahn. Andere versuchen das Problem im Kontext der wirklichen Bedrohungen der deutschen Souveränität zu sehen, Bedrohungen, die sowohl in der Konstruktion der EU und im Verfall der europäischen Peripherie noch lange lauern werden, Bedrohungen, die ohne Amerika kaum zu bewältigen sind. Letztendlich deutet dieser Spionage-Fall darauf hin, dass die Deutschen 70 Jahre nach Kriegsende immer noch höchst sensibel und schnell beleidigt mit Amerika, Befreier und Besatzer zugleich, umgehen.
In seiner Reaktion auf diesen Spionage-Fall soll Deutschland erkennen, dass die Zukunft der Beziehungen jetzt von den Deutschen und ihren Forderungen abhängt. Amerika wird sein Verhalten kaum verändern, außer um das offenbar schlechte Handwerk seiner angeblichen Agenten zu verbessern. Die Frage, was Deutschland tun könnte um Amerika von seinen Praktiken abzuwenden bleibt unbeantwortet. Auch wenn Deutschland alle amerikanische Agenten, Soldaten und Diplomaten ausweist, wird Amerika mit der Spionage nicht aufhören. Auf jeden Fall kosten alle wirksamen Reaktionen Geld und Zeit.
Deutschland könnte (und sollte) seine eigene Abwehr deutlich stärker finanzieren, ganz besonders im digitalen Bereich—von verwundbaren Netzwerke bis zum Datendiebstahl per USB-Stick. Steigende Investitionen in Computersicherheit und Resilienz seitens der deutschen Wirtschaft und Regierung sind zu begrüßen—ebenso wie ein Kryptofon für die Kanzlerin.
Deutschland gewönne an Einfluss in Washington, wenn es nicht allein, sondern in der EU nach Richtlinien für den Umgang, die Sicherheit und Integrität der explodierenden Datenmengen suchen würde. Leider gibt es über Themen wie Datenvorratsspeicherung aber kaum Einigung in Deutschland, von der EU erst gar nicht zu reden. Einfluss in Washington kommt nicht selten auf Kosten der nationalen Souveränität in Europa. Mit einer nachhaltigen Energie-Strategie der EU stiege auch Deutschlands Einfluss in Washington stark an. Anscheinend ist die amerikanische Herausforderung aber noch nicht groß genug, um diesen Preis an Souveränität zu bezahlen.
Letztendlich muss Deutschland erkennen, dass, es seine Entwicklungspolitik mit seinem Exportüberschuss zunichte macht, mit Verteidigungsausgaben in Höhe eines Viertels pro Kopf im Verhältnis zur USA auch seinen Einfluss über Fragen von Krieg oder Frieden vierteilt, und das somit sein Wert als Produzent—statt Konsument—von Weltfrieden und Weltwohlstand gering bleibt. Die Frage ob Deutschland von den USA zu abhängig ist, hängt mit der Frage zusammen, ob Deutschland bereit ist, etwas zu tun, um diese Abhängigkeit zu reduzieren. Bisher lebt man sehr bequem in Deutschland—die Amerikaner erledigen die Drecksarbeit sowieso.
Naiv ist es nicht, die USA als engen Verbündeten zu sehen – naiv ist es, zu denken, die Enge der Beziehungen hänge eher in diesem Fall nur von einer Verhaltensänderung der Amerikaner ab, als davon, was Deutschland in diese Beziehungen investiert. Viele in Deutschland verkennen, wie existentiell wichtig Markt und Macht der USA für Deutschland sind—sie reden Amerika ständig schlecht, ohne zugeben zu wollen, das es wirklich keine (billige) Alternative zu Amerika gibt—Westbindung als Staatsräson hin oder her.
Auf der anderen Seite verkennen viele Deutsche, was Freundschaft und Nähe unter Staaten bedeutet. Denn obwohl Deutschland und Amerika als Gesellschaften nicht auseinander- sondern ineineinander wachsen, wo die Zahl der Freundschaften und Partnerschaften, händeschüttelnd, einander umarmend, von Jahr zu Jahr steigt, ist es nicht so, dass Staaten ihre Beziehung wie persönliche Freundschaften regeln.
Von Deutschland aus sieht die Weltpolitik vielleicht aus wie die Fußball-WM, mit Regeln und Schiedsrichtern, Hierarchie und Rangordnung. Von Washington aus, über den Atlantik oder den Pazifik schauend, sieht die Welt eher wie „Game of Thrones“ aus, also eine Welt von „alle gegen jeden“. Hier zu erwarten, dass Amerika seine Außen- und Sicherheitspolitik nach deutschem Muster stricken würde, wäre sicher naiv. Nicht naiv wäre zu erkennen: wenn Deutschland gute Ideen oder einen großen Beitrag bietet (siehe Jürgen Klinsmann), wird das (letztendlich) pragmatische Amerika nicht nein sagen, auch nicht nein zu mehr deutscher Mitbestimmung.
Die Ressourcen der Bundesregierung sind äußerst gering, wenn es um Einfluss in der Welt der digitalen Spionage geht. In der nicht-regierten und lange nicht-regierbaren Welt des globalen Internet, dem Rückgrat unseres heutigen Wohlstands, unserer heutigen Zivilisation, aber auch eine Welt des Datendiebstahls und der Manipulation, in dieser digitalen Welt sind die Kapazitäten der Deutschen in Tat bedauerlich gering. Als solches sollte es weniger um ein Zurückschlagen gegen USA seitens der Bundesregierung gehen als um eine klare Definition der Prioritäten, auch der Haushaltsprioritäten. Möglicherweise sind für Deutschland die Bedrohungen und Kosten der Angriffe, des Datenklaus, durch andere Länder als die USA höher. Konkurrenz mit anderen Spionen in Amerika so wie die Qualität der US-Abwehr macht USA sowieso ein schwieriges Ziel für ein „Gegenschlag“—trotz des Erfolgs von Doppelagenten wie Edward Snowden. Einfluss gewinnt Deutschland auf anderer Weise.
Es ist den Amerikanern nicht egal, was die Deutschen über sie denken, aber Washington kann nicht immer das tun, was Berlin will. Letztendlich gibt es über 170 Botschaften in Washington, die auch alle wollen, dass Amerika ihre Wünsche erfüllt. Amerika teilt gemeinsame Interessen und Werte mit Deutschland, wahrscheinlich mehr als irgendwelche anderen großen Machtzentren der Welt, aber dies bedeutet keine Identität der Interessen. Es gibt Unterschiede—und das ist gut so. Am Ende des Tages ist Amerikas Interesse an deutschen Interessen auch davon abhängig, dass Deutschland ein Interesse an amerikanischen Interessen hat, und dass dies nicht nur mit Worten wie „mehr Verantwortung tragen,“ sondern auch mit Euros und Cents bewiesen wird.