14/01/2015

Je suis en guerre

Da stehen sie, die solidarischen Millionen, erstrecken sich breit über Paris in einer noch nie gesehenen Dimension. Vorne die trauernden Staatsgäste, hinter ihnen das Volk, das Weltvolk. Sie trauern um die Ermordeten, oder um Charlie und dieses Attentat auf die Meinungsfreiheit. Die Demonstranten, sie äußern ihre Betroffenheit, sie wünschen sich mehr Toleranz—und keinen Krieg gegen den Islam.

Religionen soll man ja auch nicht bekriegen, höchstens ändern. Aber „kein Krieg gegen Islam“ sollte nicht „kein Krieg“ heißen. Religionen sind Erzählungen, Gedanken-Konstrukte, also im Kampf um die Macht nur eine Waffe unter vielen. Religionen können Kriege rechtfertigen, können aber selbst keinen Krieg führen. Im Krieg geht es um Menschen und ihre Macht, um das Töten, um das Existentielle. Wir im Westen sind im Krieg, weil die Jihadisten uns den Krieg schon längst erklärt haben.

Über Tod und Schändung zu trauern ist wichtig. Es ist aber keine wirksame Antwort auf die Kriegserklärung der Glaubenskämpfer unter ISIS, al-Quaida, al-Shabaab, Boko Haram und allen anderen, die im Namen Allahs ihre mörderischen Machtansprüche verfolgen. Nur Krieg kann etwas gegen die realexistierenden Massenmörder unternehmen, die die Anschläge motivieren, die nicht nur unsere Freiheit bekriegen, sondern auch die Menschenwürde der Muslime rund um Europa—und zwar auf blutigste Weise. Hier muss man ehrlich sein. Hier ist der reale Krieg notwendig. Nur er ist es, der den schwerbewaffneten, terrorisierenden Jihadisten Paroli bieten kann. Je suis en guerre.

Die beispiellosen Demonstrationen, das globale Entsetzen, und auch der Großeinsatz der Sicherheitskräfte, dies hat die mörderischen Jihadisten und ihre Verklärung nur gestärkt. Diese Verklärung—die allzu weit in die Reihen der Gemäßigten hineinreicht—sieht die Täter als Helden und Opfer, die (wahren) Opfer und Helden dagegen als Täter. Neue Rekruten und Gelder fließen, denn die Blasphemisten sind tot, die Rache ist süß, und der Westen zeigt sich ohnmächtig. Drei Märtyrer haben die westliche Welt erschüttert—und vielleicht auch schon erschöpft. Das ist David gegen Goliath—das ist Hebelkraft im 21. Jahrhundert.

Die neuen Rekruten kommen angelaufen. Mit europäischem Pass in der Hand sind schon Tausende, meist junger Menschen, in den letzten zwei Jahren in die Kampfgebiete gepilgert. Selbst in den blutigsten Jahren des irakischen Bürgerkriegs sind bei weitem nicht so viele aus dem Westen in den Jihad gezogen. Heute unterliegt fast die Hälfte Iraks und weite Teile Syriens der Kontrolle der ISIS—die Zahl der Kampfbeteiligten liegt über hunderttausend. ISIS und ihresgleichen genießen Erfolge wie noch nie.

Rund um Europa herrscht Krieg, ein Krieg, bei dem man als Europäer zwar hingehen, aber auch wegschauen kann. Legionen von Glaubenskriegern ziehen eine Spur von Massengräbern hinter sich her, von Nigeria, Somalia, Sudan, Libyen, Jemen, bis Syrien und Irak. In diesen Kampfgebieten bezahlen die Gemäßigten ihre Niederlagen mit hohem Blutzoll. Diese Kriege scheinen aber weit entfernt zu sein von den friedlichen Gemeinschaften der Europäer, auch in ihrer Solidarität mit Charlie Hebdo.

Kleinkriege sind kompliziert. Die Schlachtfelder der Jihadisten, wo Glaubensstreit und Machtkampf über halbregierte Landschaften sich vermischen, konfrontieren rechtstaatliche Demokratien mit schwierigen, kostspieligen Entscheidungen. Westliche Normen und Gesetze haben es schwer bei der Bekämpfung der Irregulären, die sich unter die Bevölkerung mischen, um einen Krieg unter den Menschen zu führen. Westliche Streitkräfte sind für solche „Polizei-Einsätze“ nicht bereit—und schlecht ausgestattet.

Der Westen hat es auch schwer mit denen, die ihre Hasspredigen mithilfe eines globalen, multimedialen Sprachrohrs an alle unterdrückten, unter der westlichen Macht leidenden Völker der Welt richten können. Die großen Lautsprecheranlagen der Muezzine können nicht mithalten. Auch der jemenitische Al Quaida-Führer, der US-Amerikaner Anwar al-Awlaki, am 30. September 2011 von einer US-Drohne getötet, war von diesem Sirenengesang gefangen.

Mit „Je suis Charlie“ will man die Meinungsfreiheit verteidigen, doch die Demonstranten sagen nicht wie. Sie sagen auch nicht wie die Erfolge der Mörderbande gebremst werden können—und erst recht nicht, welche Staatsordnung in diesen bekriegten Ländern langfristig ein Ende des Blutvergießens sichern soll. Der mörderische Jihadismus verbreitet sich weiter—so lange ihm kein Ende gesetzt wird.

Natürlich spricht nichts dagegen, den vielen entfremdeten, arbeitslosen junge Europäern islamischen Glaubens durch mehr Integration, bessere Ausbildung, und soziale Anerkennung in ihrem europäischen Umfeld Zukunftsperspektiven zu bieten. Die Mörderbanden und Freischärler der Jihad müssen jedoch vor Ort, im Nahen Osten bekämpft werden, und zwar gewaltsam, Waffe gegen Waffe. Sonst bleiben sie stark und voller Anziehungskraft für diese jungen Menschen aus den banlieus Europa. Gezieltes Töten durch Drohnen bietet neue Möglichkeiten, Führer der Milizen zu eliminieren, ohne den Einsatz von Bodentruppen zu riskieren. Globale Abhörnetze helfen in der Ortung und Verfolgung der Verdächtigen. Viele Europäer kritisieren diese amerikanischen Waffen, doch kaum einer bietet glaubwürdige Alternativen.

Luftangriffe und Aufklärung reichen aber nicht aus. Am Ende muss die Hoheit über Städte wie Mosul, Falludscha, Homs oder Aleppo erkämpft werden, und zwar Tür zu Tür und Haus zu Haus. Bisher zeigt die Geschichte keinen anderen Weg, die Herrschaft solcher Mörderbanden zu brechen. Der „Surge“ in Bagdad 2007-2009 zeigte aber, dass mit großem Einsatz und gescheiter Politik das Mördern drastisch reduziert und der Wiederaufbau initiiert werden kann. Für die Pariser und all die mitfühlenden Europäern sollte dies auch wichtig sein, denn scheitern die Jihadisten in ihren eigenen Ortschaften, sind sie auch weniger fähig und motiviert, Europäer anzugreifen.

Doch in Zeiten hoher europäischer Arbeitslosigkeit und geringem Wirtschaftswachstum ist ein europäischer Krieg und Sieg gegen ISIS und ihresgleichen schwer vorstellbar. „Je suis Charlie“ setzt kaum mehr Geld für Soldaten und Waffen frei, auch nicht für Diplomaten und Entwicklungshelfer. Handfeuerwaffen und Ausbilder für Peshmerga sind leider nur ein Tröpfchen auf dem heissen Stein. Wo bleiben die teuer gekauften Eurofighter? Europäer sind reich und mächtig, reicher und mächtiger als alle anderen außer den Amerikanern. Mehr ist möglich. Hoffentlich muss Europa nicht erst sein eigenes 9/11 erleben, bevor die Europäer bereit sind, den Ernst der Lage, die Gefahr aus der unmittelbaren Nachbarschaft wahrzunehmen—und dann auch die entsprechenden Summen frei zu machen, um nicht nur den islamischen Menschen rund um Europa, sondern allen Menschen ein bisschen mehr Sicherheit, Freiheit und Wohlstand zu ermöglichen.