29/12/2017

Pax Atlantica – Quo Vadis?

Transatlantic peace … for real

Fünf Thesen zu Trumps Amerika, Deutschlands Europa und der Zukunft der transatlantischen Beziehungen:

1. Präsident Trump zeigt, dass die Amerikaner eine Schraube locker haben, aber die Amerikaner gehen nicht unter und sie gehen nicht weg.

2. Die Herausforderung Trumps macht Amerika stark.

3. Die Präsidenten kommen und gehen, die amerikanischen Interessen bleiben bestehen.

4. Europa muss aufwachen und aufstehen.

5. Eine Pax Atlantica für eine Pax Humana ist wahrscheinlich, aber nicht unausweichlich.

ad 1: Präsident Trump zeigt, dass die Amerikaner eine Schraube locker haben, aber die Amerikaner gehen nicht unter und sie gehen nicht weg.

Historiker werden noch lange die lockere Schraube Amerikas erforschen, die zu Trumps unerwartetem Wahlsieg geführt hat. Doch schon heute zeigen uns Trumps Erfolge und Misserfolge eins: Politik besteht nicht nur aus Rationalität, sondern auch aus Reaktion. Donald J. Trump ist vorerst eine Reaktion auf Barack H. Obama, der wiederum eine Reaktion auf George W. Bush war, der wiederum eine Reaktion auf William J. Clinton war. Trumps Wahlsieg ist auch eine Reaktion gegen das, was die meisten Menschen Fortschritt nennen: Integration, Weltoffenheit, Vernunft. Wo die meisten Amerikaner Fortschritt sehen, sehen Trumps Anhänger eine säkularisierte, entzauberte Welt, eine herzlose Herrschaft der Besserwissenden, der Tintenpisser und Bildschirm-Bonzen, auch der Emanzen. Meritokratie ist nicht für alle. Eine Frau als Präsident auch nicht.

In Trumps Wahl ist auch eine Reaktion gegen die Zukunft zu sehen. Viele seiner Anhänger wollen in der heilen Welt von Gestern leben, nicht in der verwirrenden Welt von Morgen. Trumps Wahlsieg reflektiert eine immer wiederkehrende anti-wissenschaftliche, anti-staatliche, anti-kosmopolitische Strömung des amerikanischen Geistes. Die Ketten der Vernunft sind nicht allen angenehm.

Amerikaner wollen frei sein, auch frei sein, das zu glauben, was sie wollen. Die ersten europäischen Siedler, die frommen Pilger, wollten eher in ihrem Glauben als in ihren Taten frei sein. Was sie glaubten, damals am Donnerstag, den 9. November, 1620, als sie im heutigen Massachusetts bei Plymouth Rock landeten — ist für mich, aus meiner technokratischen, wissenschaftlichen Ideologie — purster Wahnsinn.

Und doch dürfen nach dem ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung Amerikaner weiter so glauben wie sie wollen, so lange sie mich (und meinen Staat) nicht zwingen, auch so zu glauben. Zu glauben was man will, ob faktisch oder nicht, ist so ur-amerikanisch wie die Thanksgiving-Geschichte. Diese Neigung zur Wahnsinn hat Kurt Andersen, kühner Beobachter Amerikas, in seinem neusten Buch, Fantasy Land: How America Went Haywire, zutreffend dargestellt. Die neuen Siedler wollten nicht nur beten, sie wollten überleben. Sie mussten sowohl pragmatisch wie diplomatisch sein. Sie mussten schnell vor Wintereinbruch ihre Häuser bauen, denn der liebe Gott schützte nicht vor der Kälte. Sie mussten auch mit den benachbarten Heiden zurechtkommen, denn ohne ihre Hilfe gab es kein Überleben. Idealismus und Pragmatismus, in dieser Thanksgiving-Geschichte sind die zwei Stränge der amerikanischen DNA zu sehen.

Die alten und neuen Amerikaner haben sich in den nachfolgenden 400 Jahren weiter organisiert. Gewappnet mit ihrem American Dream und ihrer Technologie haben sie die kontinentale Nation zur letzten Supermacht aufgebaut. Amerikas neuste Fantasien, die heutigen lockeren Schrauben, bedeuten aber nicht die Ankunft des post-faktischen Zeitalters. Wissenschaft und Wahrheit gehen nicht weg — verlieren nicht einmal an Wert. Öfter als nicht will der Mensch eine akkurate Karte seiner Umgebung — die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, in denen er sich bewegt. Will man Geld verdienen, Seelen retten, oder nur anderen reinlegen — die Realität zu leugnen ist selten hilfreich. Die Sirenen der Illusionen bleiben gebändigt, ihre verführerische Macht bekannt. Die Scharlatane, auch die Donald Trumps, provozieren ihre Widersacher. Das Denken geht weiter.

Die Supermacht Amerika wurde nicht von einem Präsidenten groß gemacht, und sie wird nicht von einem Präsidenten klein gemacht. Herrscht Frieden unter den atomaren Großmächten im 21. Jahrhundert, dann geht Amerika nicht unter, sondern bleibt ohne Gleichen in den Möglichkeiten seines globalen Einflusses. Land, Volk, Markt, Politik, und Sprache — keine andere Großmacht hat eine solch nachhaltige Machtvielfalt wie diese Inselnation der Eingewanderten.

Amerika geht nicht weg. Amerika bleibt eine europäische Macht. Nichts ist Amerika wichtiger als Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa. Eine Pax Atlantica, also Europa als Partner, nicht als Problem, ist Amerikas vitalstes Interesse. Asien ist wichtig, aber zu arm und politisch brüchig um ausreichend als Partner der USA bei der Überwindung der globalen Herausforderung der nächsten Jahrzehnte mitzuwirken. Trotz aller lockeren Schrauben bleibt Trumps Amerika europagebunden — und klagt wie all seine Vorgänger über die mangelnde europäische Solidarität.

ad 2: Die Herausforderung Trumps macht Amerika stark.

Das amerikanische Volk ist der Herausforderung Trumps gewachsen. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Amerikaner werden mit dieser demagogischen Kreatur ihrer Kultur fertig, und sie werden dadurch stärker, wenn nicht unbedingt härter. Amerikas Reaktion auf Trump ist vielfältig und in der Summe ihm überlegen.

Einheit. Manche Amerikaner suchen bei Trump nach Einheit, nach Kompromiss und gemeinsamen Erfolgen. E pluribus unum. Amerika zeigte seine Einheit im ersten Jahr der Trump-Präsidentschaft, ob bei der Russlandpolitik des Kongresses oder in der gemeinsamen Antwort auf die Naturkatastrophen. Trumps Gegner versuchen immer wieder mit dem Präsidenten das eine oder das andere zusammen zu machen — also Opposition nicht der Opposition wegen. Politik heißt schwere Kompromisse mit unangenehmen Menschen suchen. Das Land muss weiter regiert werden. Allerdings finden Amerikaner auch Einheit in ihrer Reaktion auf die Trump-Präsidentschaft. Nach neusten Umfragen missbilligen fast 60 Prozent der Amerikaner die Präsidentschaft des Reality-TV-Stars und Immobilienmaklers Donald Trump.

Neuheit. Amerikaner freuen sich immer wieder auf etwas Neues. Die Trump-Anhänger freuen sich darauf, die etablierten Mächte zu stürzen — oder wenigsten die etablierten Sitten. Zehn Prozent der Bernie Sanders-Anhänger haben Trump gewählt. Auch Sie wollten etwas Neues. In der Welle der Empörung gegen Trump ist ebenfalls etwas Neues zu sehen. Für Hillary konnten sie sich nicht mobilisieren, aber für die „Resistance“ gegen Präsident Trump schon. Das ist neu und spannend. Trump-Gegner sehen Glück im Unglück, freuen sich auf die Möglichkeit, dass die Republikaner sich endlich blamieren, in dem sie allen klarmachen, dass ihre Ideologien nicht zeitgemäß, nicht in politische Programme umsetzbar, letztendlich bankrott sind. Wandel zu wollen heißt auch Konflikt zu suchen, amerikanischen Patriotismus neu zu definieren. Also, lasst die Republikaner ihre Karten zeigen, was können sie wirklich besser machen? Das neue Amerika der Jungen, Weltoffenen, Gleichberechtigten lässt sich gern gegen das alte, weiße, chauvinistische Amerika messen. Das neue Amerika hat die Mehrheiten, lasst uns sehen welches Amerika nachher das Sagen hat: Die Trump-Anhänger oder die gewaltige Reaktion dagegen.

Ausgleich. Die berüchtigten Checks and Balances kommen zum Tragen, auf breiter Front, in mancher Hinsicht ohne Präzedenz, wie die renommierten Politologen E.J. Dionne, Thomas Mann und Norman Ornstein in One Nation After Trump ausführlich aufzeichnen. Nutzt Amerikas Kongress all seine verfassungsgegebenen Mächte, hat die Legislative die Überhand. Sie kann dem Präsidenten Gesetze und Geld vorenthalten, ihn letztendlich entmachten — für nichts mehr, als seinen Amtseid verletzt zu haben. Der Sonderermittler, Robert Mueller III, eingestellt von Trumps eigenem Justizministerium, grenzt den amerikanischen Präsidenten ein, unterminiert seine Macht. Mit jedem zusätzlichen Tag der Untersuchung der Beziehung zwischen Russland und Trumps Wahlkampf, gibt der Sonderermittler den Amerikanern mehr Grund zu glauben, Trump habe was zu verstecken.

Die Bundesstaaten und die Großstädte Amerikas zeigen ihre Macht wie selten zuvor. Sie wollen nicht alles von Washington aufoktroyiert bekommen — vor allem in der Einwanderungspolitik. Jeder Präsident hinterlässt eine lange Spur von Erlassen. Trump versucht Obamas Erlasse außer Kraft zu setzen, doch die Gerichte machen ihm das nicht einfach. Die Rechte der Betroffenen dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Das gleiche gilt bei neuen Erlassen, zum Beispiel in seiner Macht zur Beschränkung der Rechte bestimmter Einwanderungsgruppen. Und letztlich ist Amerikas Zivilgesellschaft engagiert wie seit langem nicht mehr. Die Kassen der Organisationen zum Schutz von Bürgerrechten oder zur Unterstützung von Engagement im Ausland füllen sich wie seit langem nicht mehr. Zeitungen wie die New York Times erleben ein Aufblühen der Abonnentenzahlen. Diese Kräfte kommen alle zusammen, um Trump den Wind aus den Segeln zu nehmen, um Trump nicht mehr Macht zu geben als er verdient hat.

Die ganze Welt schaut hin, wie Amerika mit lügenden, angstschürenden, sündenbocksuchenden Politikern fertig wird. Amerika ist ein großes Land, Amerikaner sind ein großes Volk, ihre Großzügigkeit und Gastfreundlichkeit, auch ihr Optimismus und Pragmatismus werden nicht von einem Präsidenten erlöscht. Die Demokratie wird die Demagogie widerlegen können, und sie wird dadurch besser. Nur in der Auseinandersetzung können Demokratie und Individualismus sich nachhaltig und zukunftsfähig halten, können sie mehr sein als eine alte Sammlung angenehmer Vorurteile. Die Muskeln der Demokratie müssen fit bleiben. Was nicht tötet, härtet ab. Amerika bleibt Leuchtturm und Anziehungskraft für die Menschen, die Freiheit und Wohlstand in einer rechtsstaatlichen Demokratie wollen.

ad 3: Die Präsidenten kommen und gehen, die amerikanischen Interessen bleiben bestehen.

Im Wahlkampf sagt man, was man will, im Weißen Haus — oder wenigstens beim Regieren — tut man, was man muss. Trump bleibt im ewigen Wahlkampf, ständig am Twittern, ständig auf der Suche nach neuen Feinbildern und Sündenböcken. Er merkt aber, dass es leichter ist, die herrschende Geschäftsgrundlage zu kritisieren, als sie zu ändern — auch wenn er von unkonventioneller, provokativer, angstschürender Rhetorik Gebrauch macht.

Unter der aufgewirbelten Oberfläche der tagtäglichen Schlagzeilen bleibt der Status Quo dominant. Neue Gesetze gibt es kaum — abgesehen vom Pyrrhussieg eines unbeliebten, nicht durchdachten Gesetzes zur Steuersenkung. Weder neue außenpolitische Abkommen, noch neue militärische Initiativen oder Rückzüge sind zustande gekommen. Das Schiff des Staates segelt weiter — weitgehend mit Autopilot. Die neue Mannschaft kann sich kaum zusammenraufen, kaum einen neuen Kurs einprogrammieren. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie setzt andere Akzente, spricht von America First (und gar nicht von Klimawandel), kehrt aber nicht von globalem Einsatz und globaler Partnerschaft ab. Selbst Trumps wiederholte Betonnung der „Reziprozität“ (22x) in seiner Strategie ist alter Wein in neuen Flaschen.

Foreign Affairs, einflussreiche Zeitschrift für Außenpolitik, bringt Artikel nach Artikel über Kontinuität in der Substanz der amerikanischen Außenpolitik. David Ignatius, bekannter Autor und Analyst bei der Washington Post, behauptete in seiner Analyse von Trumps Rede vor der UNO am 19. September 2017, dass das einzig neue bei Trumps Rhetorik Blitz und Donner gewesen sei. Die Ziele, die zwischen den Zeilen zu lesen waren, seien, so Ignatius, viel mehr von Kontinuität als Wandel geprägt. Die Grundsatzrede über Europa, die Außenminister Rex Tillerson am 28. November hielt, hätte auch Obamas Außenminister John Kerry halten können. Die Fundamente der amerikanischen Europapolitik bleiben unverändert.

Der einzige Ort, wo Trump in der Außenpolitik bis jetzt sein Zeichen gesetzt hat, ist in der Aushöhlung des Außenministeriums. Erfahrene Diplomaten sind reihenweise entlassen worden, oder frühzeitig in Rente gegangen. Wichtige Posten bleiben unbesetzt, Kommunikation mit dem Ausland bleibt aus. Der Außenminister, Rex Tillerson, wird immer wieder vom Weißen Haus degradiert.

In Zeiten, in denen Politik mit neuen Umständen kämpfen muss, mit schwer zu lesenden Politikern wie Trump fertig werden muss, sind die Konturen der künftigen Welt nicht einfach zu erahnen. In solchen Zeiten ist es wichtig, einen Schritt zurückzugehen und zu fragen, was die eigentlichen Interessen eines Staates, eines Volkes wie Amerika sind. Amerikanische Interessen sind mannigfaltig. Doch diese Vielfalt ist auf wenige Grundinteressen zu reduzieren. Amerikaner wollen Frieden, Freiheit, und Wohlstand für sich und auch für Andere. So alt wie Life, Liberty and Happiness, so neu wie „Friede, Freude, Eierkuchen“ — diese Grundprinzipien treiben Amerikas Umgang mit der übrigen Welt, auch in Zeiten von America First.

Geschichtsbewusste Europäer wissen wohl, dass die Amerikaner nicht nur nach Frieden, Freiheit und Wohlstand streben, sondern das sie auch ständig zwischen Isolationismus und Internationalismus, zwischen Kreuzzug und Rückzug, pendeln. America First ist ein historisch beladener Kampfbegriff, der aber provoziert, weil in ihm ein Kern der Wahrheit zu finden ist: Amerikanische Außenpolitik kann nicht selbstlos sein.

„Zusammen, wenn möglich, alleine, wenn nötig“ — wie so viele Vorgänger von Donald Trump Amerikas Strategie beschrieben haben — ist weniger missverständlich und historisch beladen als America First, aber in der Bedeutung ist es letztendlich identisch. Selbst die Regierung Trumps ist eher gegen die gegenwärtige Geschäftsgrundlage gerichtet als gegen die Zusammenarbeit an sich. Amerikas qualifizierte Verpflichtung zur Zusammenarbeit und zum Kompromiss ist für Europäer wichtig zu verstehen. Auch in Zeiten von Trump geht es nicht um alles oder nichts, sondern um eine marginale Veränderung der herrschenden Geschäftsgrundlage.

Nach America First kommt Europe First. Nichts ist wichtiger für Amerika als die Stärkung und Erweiterung der europäischen Friedensgemeinschaft. Russlands Herausforderung bewegt Amerika weiterhin, wie unter Obama, die NATO militärisch zu stärken, und — mit dem Druck des US-Kongresses — Russland weiter zu sanktionieren. Für Deutschland ist es auch wichtig zu wissen, dass in den Monaten seitdem Trump im Weißen Haus ist – so sagt uns die Handelsstatistik – die Deutschen weiterhin so viel Geld in Amerika verdienen wie bisher, weiterhin einen so hohen Export-Überschuss mit Amerika genießen. Also keine Panik auf der Titanic.

In Europa, wie in anderen Teilen der Welt, verfolgt Amerika drei nicht immer miteinander zu vereinbarende Ziele. Wie oben erwähnt, will Amerika für sich und die Welt mehr Sicherheit, Rechtsstaat, Wohlstand, oder wie Amerikas Gründungsväter es in der Declaration of Independence vom 1776 verstanden: Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness.

Diese drei Ziele spiegeln verschiedene Denkschulen in der amerikanischen Außenpolitik wider, und die amerikanische Außenpolitik ist von allen Dreien geprägt. In diesen drei Zielen sind die Widersprüche und Spannungen der amerikanischen Außenpolitik zu sehen. In dieser Spannung der Ziele liegt auch der Grund für die kreative Dynamik, die Anpassungsfähigkeit, auch die Bündnisfähigkeit der amerikanischen Außenpolitik in den letzten 250 Jahren. Auch in Zeiten von Donald Trump — und ob isolationistisch oder internationalistisch — die Amerikaner sind bei ihren außenpolitischen Einstellungen in diesen Kategorien zu sehen.

Für die Amerikaner, die Priorität auf Life setzen, ist die Welt gefährlich. Anarchie herrscht. Raubstaaten, Terroristen und Kriminelle lauern überall. Solche „Realpolitiker“ oder „Falken“ sehen die Welt als einer Nullsummen-Spiel, in der es um die Erweiterung der Macht und den Schutz der Interessen geht — Flugzeugträger und Militärstützpunkte sind wichtiger als Menschenrechtskonventionen und Freihandel. In dieser Einstellung ist die Erklärung auch dafür zu finden, warum Trump vom Kongress mehr Geld für seinen ersten Verteidigungshaushalt bekommen hat, als er in seinem Haushaltsentwurf vorgesehen hat.

Doch Amerikaner sind nicht allein mit kaltblütiger Realpolitik zu gewinnen — obwohl sie diese durchaus kennen. Amerikaner wollen mehr als überleben, sie wollen Liberty. Sie wollen die Welt verbessern, und meinen, begrenzte Staatsmacht, Rechtsstaatlichkeit, investigativer Journalismus und Trennung zwischen Staat und Kirche sind die besten Wege dies zu tun. Für viele Amerikaner ist die Welt nicht Anarchie, sondern eine große Zivilisation aller Menschen (auf einem kleinen Raumschiff), und die Motive des Handelns sind nicht so sehr Macht und Interessen als Werte, Institutionen und Gesetze. „Good governance“ ist anzustreben, Korruption ist Quelle allen Übels. Trumps Kritik an Nordkorea wird nicht nur in nationalen und sicherheitspolitischen Kategorien ausgedrückt. Wiederholt hören wir vom Weißen Haus, Nordkorea sei eine Bedrohung für die ganze Welt, nicht nur für Amerika; Nordkorea sei eine Bedrohung, auch weil seine Bürger unter einer brutalen Diktatur leiden.

Letztlich gibt es Amerikaner, die die Welt weder als Anarchie noch als entstehende Zivilisation sehen — sondern als Marktplatz. Hier geht es um the pursuit of happiness, um Marktanteile und Gewinn. Die amerikanische Wirtschaft ist durchaus globalisiert; amerikanische Geschäftsleute profitieren von ihren globalen Wertschöpfungsketten. Man denke an Apple’s iPhone: „Designed by Apple in California. Assembled in China.“ Amerikas Wirtschaftsbeziehungen mit der Welt sind sehr vorteilhaft, auch weil Amerikas Sicherheit und Profitabilität der ganzen Welt einen Anreiz gibt, Geld in Amerika anzulegen, und amerikanische Dollarreserven zu halten. Die Weltbevölkerung wohnt weitgehend und zunehmend in der Nähe der Küsten — und ihr Reichtum und Wachstum hängt von offenen Seewegen und einem offenen amerikanischen Markt existentiell ab. Märkte zu erobern, Investitionsmöglichkeiten zu sichern, Talent zu rekrutieren — amerikanische Außenpolitik verfolgt nach Frieden und Freiheit auch Wohlstand. Trump wird die Geschäftsbedingungen von globalen Handel und Investition am Rande ändern, aber nur wenn es nicht mit Amerikas Interesse an Frieden und Freiheit kollidiert. Selbst rein wirtschaftlich gesehen, ist es viel einfacher Reziprozität zu fordern, als Amerikaner von globalen Geschäfte und globalen Gewinn abzuschotten.

Viele behaupten, die Ergebnisse der ersten und zweiten Weltkriege sind nicht mehr maßgebend für ein Verständnis der heutigen Weltordnung. Überzeugender ist das Argument, die Welt sei weiter auf der Suche nach einem Weltfrieden — als Reaktion auf die Weltkriege des 20. Jahrhunderts und die Schwächen des westfälischen Friedens des 17. Jahrhunderts. Ist der zweite Weltkrieg Maßstab aller Dinge, dann stehen Stalingrad, Auschwitz, und Bretton Woods auch noch heute für die drei Ziele der amerikanischen Außenpolitik.

In Stalingrad haben die Amerikaner einen Feind der Demokratie gegen einen anderen unterstützt. Heute ist Amerika im gleichen Geschäft, wenn auch in einer kleineren Dimension. Schmutzige Kompromisse mit den lokalen Herrschern, den einen Feind gegen den anderen ausspielen, so schont Amerika seine Macht. Trumps Beziehungen mit Saudi-Arabien, Pakistan oder China sind nicht anders zu verstehen. Doch Frieden ist nicht mit klassischer Realpolitik allein gesichert. So lange eine Regierung zu einem Auschwitz fähig ist, kann es kein Frieden geben, denn was sind die Grenzen zwischen Staaten im Vergleich zu den übertretenen Grenzen eines solchen Massenmords? In anderen Worten: Eine Welt ohne Demokratien wäre für Amerika viel gefährlicher. Allerdings wäre das eine Welt ohne Wohlstand auch.

Bretton Woods, New Hampshire, steht für die wirtschaftlichen Komponenten der amerikanischen Außenpolitik. Dort haben die Alliierten sich im Sommer 1945 auf eine neue internationale Wirtschaftsordnung geeinigt, die sichern sollte, dass eine Weltwirtschaftskrise nie wieder geschehe. Die Krise, meinten die versammelten Delegierten, war auch für den zweiten Weltkrieg verantwortlich. Der damals geschaffene Internationale Währungsfond vergibt Kredite heute in der Euro-Krise — und die Trump-Regierung wird dies nicht blockieren. Die damals geschaffene Welthandelsordnung, heute als Welthandelsorganisation (WTO) bekannt, hat China in die Weltwirtschaft integriert — nachdem China mit großer Unterstützung von Präsident Clinton 2001 dieser Organisation beigetreten ist. Chinas heutiger Reichtum ist nicht ohne diesen Beitritt zur WTO zu erklären — und Donald Trump wird China höchstens bei der WTO anklagen, an einem Rausschmiss oder einem Austritt würde seine Regierung nie denken. Ohne Amerikas weltwirtschaftliche Rolle als Versicherer letzter Instanz wären die Wachstumsmöglichkeiten der Globalisierung nicht zu haben, die Friedfertigkeit der unterentwickelten, überbevölkerten Großstädte des Südens nicht so selbstverständlich.

Unsere heutige Welt entstand aus dem zweiten Weltkrieg, und diese Katastrophe bleibt Maßstab und Bezugspunkt der heutigen Weltordnung. Die Suche nach dem Weltfrieden als Reaktion auf die Weltkriege treibt Amerika und Europa, aber auch China und Russland. Sie sind ebenfalls noch in der Nachkriegsordnung verhaftet. Doch der Weg zum Weltfrieden ändert sich mit der radikalen Veränderung der Technologie und der Wertschöpfung in einer immer enger verbundenen Welt. Im Zeitalter der Beschleunigung steht die Nachkriegsordnung vor neuen Herausforderungen unbekannter Art. Selbst die Frage, was es bedeutet ein Mensch zu sein, in wie weit die künstliche und die menschliche Intelligenz miteinander verschmelzen, steht uns in den nächsten Jahrzehnten bevor, wie Yuval Noah Harari in sein Buch Homo Deus provokativ darstellte.

Amerika bleibt Fels in der Brandung dieser Welt voller Gefahren und Möglichkeiten, vor allem auf dem afro-euro-asiatischen Superkontinent. Auf dieser großen „Weltinsel“ nehmen alte Konflikte neue Formen an, in einem zunehmend vernetzten Raum schwächelnder Staaten und schwindender Imperien. China, Russland, Indien, Iran, Türkei, Europa —
sie müssen weiter mit einander fertig werden und mit dem fernen und doch so nahen Amerika.

Amerika wirkt hier seit einem Jahrhundert als Seemacht wie keine andere. Getrieben in seiner Weltpolitik von der Suche nach Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand für sich und die Welt, bleibt Amerika off-shore balancer, historisch und geographisch entfernt genug um einigermaßen als neutraler Vermittler und Versicherer letzter Instanz zu wirken — in einer Zeit, in der die Abhängigkeit Amerikas von dieser afro-euro-asiatischen Weltinsel dennoch schnell ansteigt, wie Robert Kaplan, in seinem bahnbrechenden Aufsatz, The Return of Marco Polo’s World and the US Military Response, darstellt.

ad 4: Europa muss aufwachen und aufstehen

Die Stärkung und Erweiterung des atlantischen Friedens ist nur möglich, wenn Europa seinen Part spielt. Wer auch immer US-Präsident ist, Europa bekommt mehr aus ihrer Partnerschaft mit Amerika, wenn sie mehr in diese Partnerschaft investiert. Um Europa zum starken Partner zu machen, muss Deutschland aus Großbritanniens Versuch die Europäische Union zu verlassen, Polen und Ungarns Versuch die Demokratie abzulehnen, und Südeuropas Versuch deutscher Wirtschaftspolitik zu entkommen, die Lehren ziehen. Um die für Deutschland existential wichtige Einheit in der europäischen Vielfalt zu stärken, muss Deutschland viel mehr in Europa investieren. Eine Mehrheit der Deutschen ist dagegen, und das ist ein Problem.

Europa ist seiner Geschichte und Geographie nicht entkommen. Die alten Strukturen des Konflikts bleiben bestehen. Das neue Europa, das man jetzt konstruiert hat, hat es schwer, die geweckten Erwartungen zu erfüllen, den vielfältigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Selbst mit Amerikas Verpflichtung ist der Frieden, Freiheit und Wohlstand auf der europäischen Halbinsel des gigantischen afro-euroasiatischen Kontinents zurzeit nicht gerade nachhaltig und erweiterungsfähig. Deutschland als stärkstes und reichstes Land dieses Europas trägt eine überproportionale Verantwortung dafür. Deutschland als Export-Weltmeister hat jeden Grund, etwas dagegen zu tun, jeden Grund, mehr in Europas Nachhaltigkeit und Erweiterungsfähigkeit zu investieren. Doch die Deutschen bleiben in der Mehrheit eher isolationistisch, vor allem, wenn es darum geht, mehr Geld für Europa oder Verteidigung auszugeben, wie pointiert dargestellt in The Berlin Pulse, einer besorgniserregenden Studie der Körber-Stiftung. Hierin liegt auch eine Erklärung dafür, warum die bisherigen Koalitionsverhandlungen in Berlin die Frage der höheren Investitionen in der Europa- und Außenpolitik weitgehend ausgeklammert haben.

Deutschland muss bei der Nachhaltigkeit seiner Gesellschaft und der Wachstumsfähigkeit seiner Wirtschaft anfangen. Europa funktioniert besser, wenn Deutschland eine attraktive, zukunftsorientierte Gesellschaft aufzeigen kann, eine innovative und offene und junge Gesellschaft, die die Lebensgrundlagen des Landes für die Nachkommenschaft und die Nachbarschaft verbessern kann.

Deutschland muss eine Integrationsmaschine werden, um die Schlausten, Ehrgeizigsten der Welt zu sich zu bringen und an sich zu binden. Nur so verhindert Deutschland seine Vergreisung, nur so bekommt Deutschland den Reichtum um Europa zu einigen und die umliegende Welt zu engagieren. Die Einbindung der „Neuen Deutschen,“ wie das Historikerpaar Herfried und Marina Münkler sie in ihrem großartigen und namensgleichen Buch genannt haben, geht von Lehrern und Schulen bis hin zu Sozialarbeitern und Arbeitgebern, Wohnungsbauern und Immobilienmaklern, Medizinern und Versicherern, Ehrenamtlichen, und natürlich auch Polizei und Justiz. Hier muss der Steuerzahler mehr investieren. Mit neuen und gestärkten Institutionen der Zusammenarbeit bekommt das seit 2015 gezeigte Vertrauen und Solidarität eine notwendige Nachhaltigkeit. Ein gesellschaftlich reiches Land ist auch ein wirtschaftlich reiches Land.

Deutschland sollte wirtschaftlich schneller wachsen, um auch einen größeren Markt für seine europäischen Nachbarn zu sein. Offenere Produkt- und Arbeitsmärkte und höhere Investitionen in die soziale und physikalische Infrastruktur verspricht einen Wachstumsschub für Deutschland und Europa — und eine Reduzierung des weit und breit verpönten Leistungsbilanzüberschusses.

Für die Zukunft muss Deutschland auch in die Wissenschaft investieren. Hier genießt Deutschland, global gesehen, immer noch einen großen komparativen Vorteil. Doch bei der Investition in Bildung liegt Deutschland heute unterhalb der OECD-Durchschnitt. Dabei ist nichts wichtiger. Mehr muss in Ausbildung und Qualifikation der von Globalisierung und Automatisierung beschädigten Arbeiterklassen investiert werden. Deutschland muss auch mehr in seine hoch qualifizierteren Wissenschaftlern investieren —
bevor sie alle nach Amerika auswandern. Die Naturwissenschaften werden uns sagen, wie wir auf diesem Planeten alle reich werden können, ohne die Natur zu zerstören. Sie werden uns auch helfen, Schutz vor Viren aus der Natur oder aus dem Labor, biologisch oder kybernetisch, zu gewährleisten. Die Sozialwissenschaften werden uns sagen, wie wir die entstehenden Lasten am gerechtesten verteilen, und wie wir als Menschen mit den technologischen Möglichkeiten der Zukunft fertig werden, wie wir uns nicht selbst in die Ausrottung treiben, wie wir Frieden, Freiheit und Wohlstand für alle finden können.

Die Sicherheit der europäischen Grenzen, der europäischen Währung, der europäischen Daten und auch der europäischen Arbeitsplätze ist für Deutschland von existentieller Bedeutung. Deutschlands realexistierende Souveränität ist heute von der Sicherheit Europas kaum noch zu trennen. Europa verdient daher eine Verdopplung von Deutschlands Nettoinvestitionen von ca. 13 Milliarden auf 26 Milliarden. Die Aufbau-Erfahrung der letzten 25 Jahre in den neuen Ländern muss jetzt auf das große Europa übertragen werden. “Ein vereintes Deutschland in einem vereinten Europa” – so war die Devise am 3. Oktober 1990 und sie gilt weiter.

Deutschland muss auch das militärische Rückgrat einer europäischen Expeditionsfähigkeit bilden, die sowohl innerhalb Europas gegen die russische Bedrohung wie außerhalb Europas in Afrika und im Nahen Osten gegen Bürgerkrieg und ungesteuerte Massenmigration ausgerichtet ist. Zurzeit gibt es ein geostrategisches Machtvakuum in Europa und um Europa herum. Europa kann seine Macht nur bündeln und diesem Vakuum entgegenwirken, wenn Deutschland bereit ist, seine Ausgaben für Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung zu verdoppeln. Ähnliches fordert Wolfgang Ischinger, Vorsitzender des Münchner Sicherheitskonferenz, der seit 2016 eine Erhöhung der Investitionen für alle drei Posten auf drei Prozent der deutschen BIP fordert. Mit einer BIP im Jahr 2016 von 3,1 Billionen Euro bedeutete das, 93 Milliarden Euro, also fast eine Verdopplung der gegenwärtigen Ausgaben.

Leider ist im Verteidigungsetat 2018 nur eine Erhöhung von 1,6 Mrd. Euro auf insgesamt 38,5 Euro geplant, bis 2021 auf 42,4 Mrd. Der US-Kongress hat Trumps Haushaltsentwurf für 2018 mit überparteilichen Mehrheiten um 37 Milliarden auf insgesamt über 700 Milliarden erheblich erhöht. Pro Kopf geben die Amerikaner 2018 über 2000 Euro für Verteidigung aus, in Deutschland liegt der pro-Kopf Beitrag bei 470 Euro. Und die Amerikaner stellen dabei noch die atomare Rückversicherung Deutschlands, und tragen die entsprechenden existentiellen Risiken.

Jetzt ist Deutschland gefragt, im europäischen Verbund eine Weltmacht zu sein, die nicht nur bereit ist, in die unmittelbare Sicherheit und den Fortschritt zu investieren, sondern in das Wohlergehen des ganzen Planeten, angefangen mit der eigenen Nachbarschaft. Ein Platz an der Sonne ist teuer, aber er ist für Deutschland heute und morgen ohne Alternative. Die nationalen Interessen Deutschlands verlangen nichts weniger.

ad 5: Eine Pax Atlantica für eine Pax Humana ist wahrscheinlich, aber nicht unausweichlich.

Noch nie haben so viele Leute es so gut gehabt. Frieden, Freiheit und Wohlstand haben sich in Europa und in Asien weit verbreitet, und dieser Frieden war vorerst und vor allem ein atlantischer Frieden. Ohne diesen atlantischen Frieden wären weder Russland noch Indien noch China heute so fortgeschritten, wie sie es sind. Ein autarkes China oder Russland, wie in großen Teilen des 20. Jahrhunderts, würde dem Westen wenig schaden. Ein Westen ohne die Bereitschaft, mit den asiatischen Großmächte zu wirtschaften, ohne die Bereitschaft, die Kommunikationswege offen zu halten, wäre eine Katastrophe für die alten asiatischen Imperien.

Es ist vorstellbar, dass China sich nach Osten ausweitet, sich über One Belt, One Road zum asiatischen Hegemon aufbaut, ein kaputtes Russland in Treuhand nimmt, zum Satelliten degradiert, und Europa unmittelbar nebenan steht. Zuerst muss China aber mit seinem kleinen, unangenehmen Nachbarn Nordkorea fertig werden. Schafft China es, hier Lösungskompetenzen zu zeigen, könnte man in der Tat von einer gewachsenen chinesischen Hegemonie sprechen.

Doch selbst ein China, das sich über weite Teile des euroasiatischen Kontinentes verbreiten würde, hätte es schwer, Amerika als Supermacht zu ersetzen. Zu groß ist all das, was nachgeholt werden muss, um China, dessen pro Kopf-Einkommen ein Viertel des der USA ist, in die erste Reihe zu stellen. Ob Chinas sehr hierarchischer Marxismus-Maoismus-Nationalismus-Korporatismus-Kapitalismus seinen schrumpfendes, vergreisendes, verarmtes Milliarden-Volk im 21. Jahrhundert der wissenschaftlichen Revolutionen zu bringen vermag, bleibt eine der größten Fragen unserer Zeit. Auf jeden fall kommt China alleine nicht dorthin, sondern nur in engster Partnerschaft mit Amerika und Europa.

Schlau, reich, und rechtsstaatlich haben Amerika und Europa ganz andere Probleme als China, Russland oder Indien. Sie müssen nicht nur schnell reicher und produktiver werden, so dass sie genug übrighaben, um mit dem Rest der Welt zu teilen. Sie müssen herausfinden, wie sie den Rest der Welt zum geduldigen Warten bringen können, bis sich die Pax Atlantica zu einer Pax Humana entwickelt.

Wie, ohne eine Pax Atlantica, ist die Menschheit in das 22. Jahrhundert zu bringen? Wie ist das zu schaffen, ohne ein geeintes, starkes, engagiertes Amerika und ein geeintes, starkes, engagiertes Europa, in engstem Verbund, auf den Wundern der letzten sieben Jahrzehnte aufbauend, mit dem Model NATO und EU als zwei Seiten der selben Medaille, sich nach Afrika und Asien ausweitend? Nachbarschaft für Nachbarschaft, weiter nach vorne statt wieder zurück, mit immer mehr Frieden, Freiheit und Wohlstand, die Zukunft des Planeten für die nachfolgenden Generationen sichern, das ist Pax Atlantica für eine Pax Humana.

Eine andere Zukunft ist auch vorstellbar: Eine Pax Americana. Hier ist Amerika global engagiert, Europa nicht. So war es 2003, als sich Europa nicht einigen konnte in ihrer Position gegenüber Amerikas Plan, den Irak zu besetzen. Neueuropa war dabei, Alteuropa nicht. Europas Unterinvestition in Sicherheit, Diplomatie und Entwicklung perpetuiert diese Pax Americana. Ein solches europäisches Machtvakuum füllt Amerika zwar im ureigenen Selbstinteresse, doch Amerikas Engagement ist dann oft für Europa weder angenehm noch beeinflussbar. Wichtiger noch: Ein nicht geeintes, nicht engagiertes Europa ist weder nachhaltig noch würdig. Europas Reichtum und Europas historisch gewachsene Verantwortung verpflichten zu mehr.

Die Welt könnte sich auch zur tatsächlichen Multipolarität entwickeln. Amerika könnte viel aggressiver, viel misstrauischer, viel unilateraler agieren — von dem Gedanken überzeugt, internationale Beziehungen seien ein Null-Summen Spiel. Vielleicht bestimmen die in Amerika, die Anarchie als herrschend sehen, und Konflikt, nicht Kooperation, als determinierendes Element des internationalen Systems verstehen. Die verwundbare Halbinsel Europa würde sich vielleicht dann doch zusammenraffen, um der amerikanischen, russischen und chinesischen Konkurrenz durch flexible Bündnisbildung gewachsen zu sein.

Europa könnte auch zunehmend in Null-Summen-Spiel-Kategorien denken, misstrauisch gegenüber Amerika, so dass die Eindämmung und Abschreckung der überdominanten amerikanischen Macht zu Europas wichtigstem außenpolitischen Ziel wird. Gehen Europa und Amerika ihre eigenen Wege, käme eine multipolare Welt zu Stande, eine Welt der Machtgleichgewichtspolitik wie in Europa des 19. Jahrhunderts, eine Welt, die der gemeinsamen Herausforderung der Globalisierung nicht gewachsen wäre.

Letztlich könnte Amerika auch seinen isolationistischen Instinkten folgen, sich auf seine Insel zurückziehen. Amerikanischer Isolationismus könnte aus dem Prinzip entstehen, die schmutzigen Geschäfte der Weltpolitik seien zu meiden, oder aus der Angst, die Welt sei zu gefährlich für amerikanisches Engagement. Nach einem Terror-Angriff mit hundert- oder tausendmal so vielen Toten wie bei 9/11 könnte Amerika die Grenzen dichtmachen, ein Raketenschutzschild aufbauen, Energie-Unabhängigkeit sichern, und der Welt sein Rücken zukehren. Seuchen könnten einen ähnlichen Rückzug provozieren — ob unter Menschen oder im Internet, ob natürlich oder künstlich. Diese Welt wäre für Amerika ein großer Verlust, nach all den Errungenschaften der Nachkriegsjahre, auf jeden Fall ein Ende des American Dreams. So eine Welt wäre aber für Europa noch viel schlechter.

Deutschlands beste Option liegt darin, in sich selbst und den europäischen Verbund zu investieren, auch um Trumps Amerika in Europa und rund um die Welt engagiert zu halten. Mit mehr Investition kommt mehr Einfluss, nicht nur über Amerikas Engagement, sondern auch über die Natur dieses Engagements. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind teuer, viel teurer als manche heute meinen. Es ist aber ein Segen unserer Zeit, diese Investition tätigen zu können, und dafür können wir an diesen Festtagen dankbar sein.