22/05/2020

Showtime in China — der Nationale Volkskongress und die Zukunft der chinesischen Macht

Aufgrund von Covid-19 beginnt der Nationale Volkskongress am 22. Mai, nicht wie sonst im März

Sicher denken viele der Teilnehmer des Nationalen Volkskongresses in Peking, dass die kommunistische Partei Chinas vor ihrer größten Herausforderung seit Tiananmen, wenn nicht seit der Kulturrevolution steht. Neue Herausforderungen einer globalen Wirtschaftskrise und Covid-Vorwürfe sind dazugekommen, die anhaltenden Schwächen Chinassind geblieben, ob

  • geografisch (umzingelt von unfreundlichen Nachbarn; von Lebensmittel- und Energieimporten abhängig)
  • demografisch (alt, krank, ethnisch fragmentiert, brain-drain)
  • wirtschaftlich (hohe Verschuldung; Abhängigkeit von ausländischen Märkten, Marken, Banken und Technologien)
  • politisch (Xinxiang, Tibet, Hongkong, Korruption, Ungleichheit, wachsende westliche Kritik und Gegenwehr, kaum Verbündete, militärisch-technologische Schwächen).

Doch in der Krise liegen auch Vorteile, sagt uns die chinesische Strategielehre. Es ist showtime in Peking.

Stärke aus der Schwäche
Schon vor Covid-19 sah China sich in einem breitangelegten, andauernden Konflikt mit dem Westen, in dem die chinesischen Vorteile nur vorübergehend erschienen. Doch die KP Chinas wusste es gut, eine schlechte Hand zu spielen, in dem sie eine koordinierte ideologische, wirtschaftliche, politische und militärische Strategie verfolgte. Viele sprechen von einer globalen Strategie der Kooption, der Erpressung und der Verschleierung.

China sieht sich im Propaganda-Krieg mit dem Westen. Es herrscht ein Kampf um die öffentliche Meinung, um das Narrativ, um die Deutungshoheit. Viele westliche Geschäftsleute und Politiker scheinen Chinas Spiel durchschauen zu können. Doch China hat einen Spielplan, der Westen nicht.

China versucht sich auf neuen Gebieten der strategischen Konkurrenz günstig zu positionieren. Es geht um die Bedingungen des Austausches in einer globalisierten, vernetzten Welt. Es geht um die strategische Entwicklung und den Einsatz von Netzwerkeffekten. In dieser Welt gewinnt jener, der Netzwerke, Plattformen und Standards dominiert.

China will sich zum globalen Amazon entwickeln, das Standards, Netzwerke, und Plattformen in einer Hand hält. Nach Made in China 2025 kommt Standards 2035. Peking treibt seine Offensive voran, indem es seine eigene Zentralisierung, Reichweite und Größe gegen eine fragmentierte Weltordnung einsetzt.

Covid-19 bringt einen Boom der virtuellen Arbeit, erhöht damit schnell die Nachfrage nach besseren Netzwerken, also mehr 5G—und wer kann diese Nachfrage schnell bedienen? Geopolitische Macht liegt in der Kontrolle der Systeme des Austausches, in der Kontrolle der digitalen Verkehrswege der Zukunft. Vorerst ist China auf gutem Wege, sich im Bereich der Netzwerkdominanz große Vorteile zu sichern. Doch das Misstrauen wächst, Alternativen zu Huawei werden beliebter.

Auferstehen oder Untergehen?
Kann die Partei unter Xis Führung diese Krise ausnutzen, um Chinas außenpolitischen Einfluss auszubauen? Hat China mit seiner neuen Seidenstraße das Fundament für den Wieder- und Weiteraufbau der umliegenden Staaten zwischen China und dem Nahen Osten und Europa gelegt, um jetzt seinen strategischen Einfluss in deren Hauptstädten kräftig zu erweitern? Hat China mit seinen 5G-Netzwerken die Möglichkeit, neue geopolitische Macht zu gewinnen in einer Zeit, wo alle virtuell arbeiten wollen? 

Oder sind diese Projekte nicht richtig durchgerechnet? Haben die Regierenden Chinas sich keinen Widerstand vorgestellt? Die westliche Welt will sich jetzt von chinesischen Lieferketten losreißen, die Kontrolle der globalen Netzwerke wieder selbst übernehmen. Die Länder auf der Seidenstraße wollen nicht überrollt werden, nicht unter „loan, build, seize,“ leiden. Kann sich China eine expansive und riskante Außenpolitik leisten, wenn der Ruf Chinas im Westen im freien Fall ist?

Konzentrieren sich jetzt die Parteiführer nur noch auf die interne Herausforderung, also auf größere Unabhängigkeit – Energie, Lebensmittel, Technologie sowie ausländische Märkte für chinesische Waren und Dollar-Reserven? Riskieren sie doch ihre Weltmärkte, um die Opposition in Hong Kong zu eliminieren?

Oder wird Chinas Flucht nach vorn ein Griff nach außenpolitischen Erfolgen? Wollen Xi und seine Partei jetzt erst recht gegen Taiwan und auch die USA vorgehen? China versucht sich als Führer des globalen Kampfs gegen Covid-19 zu profilieren. Doch die Hilfslieferungen wirken wenig glaubwürdig. Und Muskelspiele im Südchinesischen Meer versprechen nicht viel. Ein Krieg nutzt China nichts; die Nachbarn werden nur noch mehr alarmiert. Chinas eskalierende Cyberangriffe haben internationale Alarmglocken zum Klingeln gebracht. Auch die Versuche, sich weltweit in Pharmafirmen einzuhacken, haben China keine Freunde gemacht.

Arbeitet China hier nach einem strategischem Plan?  Oder ist China im Sog der Ereignisse gefangen, nur noch zum taktischen Lavieren fähig?

Chinas größter Vorteil
Geht es um relativen Einfluss im globalen Geschehen, ist eins aber klar: Chinas größter Vorteil liegt in Amerikas momentaner Abwesenheit von der Weltbühne, in den vielen inneren Krisen der nicht so Vereinigten Staaten von Amerika. In dieser Zeit kann China sich im Vergleich mit Amerika gut darstellen — dies wird zum Motiv des Volkskongresses.

Von großen Träumen des Wiederauferstehens werden die Versammelten des nationalen Volkskongresses hören – noch größere Albträume des Untergangs werden die Gemütern der Anwesenden innerlich bewegen.