Von Dr. Andrew B. Denison
Eine leicht veränderte Version erschien heute auf welt.de.
Zweiklang statt Alleingang – ein neues Modell zur Bereitstellung deutscher Waffen für die Ukraine
So wichtig die militärischen Fähigkeiten der Ukrainer auch sind – der Erhalt der Geschlossenheit der westlichen Koalition zur Unterstützung der Ukraine ist ebenfalls von größter strategischer Bedeutung.
Auf der Pressekonferenz mit Präsident Wolodymyr Selensky im Weißen Haus am 21. Dezember wurde Präsident Biden gefragt, warum er den Ukrainern nicht alle Waffen, die sie wollten, geliefert habe. In seiner Antwort sprach er weder vom linken und rechten Flügel im Kongress noch von einer unnötigen Provokation Putins, sondern von der Notwendigkeit, die NATO und die EU zusammenzuhalten.
Im Wortlaut: „Nun sagen Sie: ‚Warum geben wir der Ukraine nicht einfach alles, was es zu geben gibt?‘ Es gibt ein ganzes Bündnis, das unbedingt bei der Ukraine bleiben muss. Und die Vorstellung, wir würden der Ukraine Material geben, das sich grundlegend von dem unterscheidet, was dort bereits hingeschickt wird, bürge die Gefahr, die NATO, die Europäische Union und den Rest der Welt auseinander zu brechen.“
Deutschland im Bündnis halten
Konkret ist es für Washington besonders wichtig, Deutschland in diesem Bündnis dabei zu haben. Washington begrüßt das Anliegen vieler Osteuropäer, so viele Waffen in die Ukraine schicken zu wollen, dass diese zu einer großen ukrainischen Offensive zur Rückeroberung des Landes in die Lage versetzt wird. Aber ohne Deutschland ist die westliche Koalition nur halb so stark. Militärische Solidarität aus Deutschland ist nicht nur symbolisch wertvoll, sondern auch auf dem Schlachtfeld von größter Bedeutung. Es geht auch um Deutschlands Sicherheit.
Bundeskanzler Scholz hat „Keine Alleingänge“ zur strategischen Leitlinie seiner Ukraine-Politik gemacht. Verantwortung scheuen, Risiken vermeiden ist die eine Seite des Zögerns. Angst vor der Eskalation sei angeblich die andere Seite. Als ob es nur auf Deutschland ankäme, um die NATO vor einem dritten Weltkrieg zu bewahren.
Schon seit Beginn des Krieges gibt es in Deutschland viele Befürworter für die Lieferung schwerer Waffen wie Leopard I und II an die Ukraine. Darüber hinaus gibt es allerlei gute Ideen für neue Formen der europäischen Zusammenarbeit bei der Lieferung und Instandhaltung der Leoparden, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, großangelegte Gegenoffensiven zu starten. Bisher war das Kanzleramt jedoch nicht bereit, die Initiative zu ergreifen.
Mit Amerika über den eigenen Schatten springen
Nun scheint Bundeskanzler Scholz einen Weg gefunden zu haben, über seinen eigenen Schatten zu springen. Statt Alleingang gibt es jetzt Zweiklang. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit Präsident Biden vom 5. Januar 2023 kündigte Bundeskanzler Scholz seine Bereitschaft an, im Krieg gegen Russland einen Schritt weiter als bisher zu gehen.
Dort ist zu lesen: „Zu diesem Zweck beabsichtigen die Vereinigten Staaten, der Ukraine Schützenpanzer vom Typ Bradley zur Verfügung zu stellen, und Deutschland beabsichtigt, Schützenpanzer vom Typ Marder zu liefern. Ende Dezember kündigten die Vereinigten Staaten an, der Ukraine eine Patriot-Flugabwehrraketenbatterie zu liefern. Deutschland schließt sich den Vereinigten Staaten an und stellt eine weitere Patriot-Flugabwehrraketenbatterie zur Verfügung.“
Enger geht es nicht. Ein solcher Schulterschluss mit Amerika macht es dem Kanzleramt offenbar leichter, die Risiken einer Steigerung deutschen Engagements zu tragen – ob sie nun aus den eigenen Reihen oder aus Moskau kommen. Hier beobachten wir eine neue Vorgehensweise, um für Olaf Scholz, Wolfgang Schmidt, Jens Plötner und alle anderen Zauderer im Kanzleramt, jetzt doch Deutschlands Beitrag mit seinen Interessen, seinem Wohlstand und seinen militärischen Fähigkeiten in Einklang zu bringen.
Im Kanzleramt ist es deutlich geworden: Trotz Trump und China ist Amerika jetzt in Europa stark wie schon lange nicht mehr. Man kann dankbar sein, dass Joe Biden, erfahrener Kalter Krieger wie kein anderes Staatsoberhaupt unserer Zeit, Präsident der USA ist. Für Deutschland, wie auch für die meisten europäischen Partner, gibt es, insbesondere in Krisenzeiten, kaum etwas wichtigeres als eine enge Bindung an ein mächtiges, handelndes Amerika. Für politische Alleingänge fehlen Europa die Einigkeit, die Entschlossenheit und die militärischen Fähigkeiten.
Mit deutsch-amerikanischem Zweiklang ist es auch einfacher, Frankreich einzubinden. Präsident Emmanuel Macron hat zwar durchaus ein Interesse an deutscher Zurückhaltung – denn dies verhindert, dass Frankreich im Schatten Deutschlands steht. Ist Berlin jetzt auf Grund des Drucks aus Washington und den eigenen Reihen doch dazu bereit, militärisch mehr auf den Tisch zu legen, dann sollte auch Paris ein bisschen Ruhm für sich beanspruchen dürfen, Europa wegen. Macron konnte so die besondere Bedeutung von Frankreich hervorheben, in dem er unilateral die Lieferung von leichten Panzern des Typs AMX-10 ankündigte – vor der bilateralen Ankündigung aus Washington und Berlin. Steht Frankreich kurz allein im Rampenlicht, ist der deutsch-amerikanische Zweiklang um so wirksamer.
Zur großangelegten Gegenoffensive verpflichtet
Deutschland ist jetzt eingebunden, nicht nur bei der Lieferung weiterer schwerer Waffen, sondern bei der strategischen Zielsetzung, die Russen aus der Ukraine zu treiben, durch den Aufbau einer ukrainischen Streitmacht, die durch Feuer und Bewegung im Gefecht der verbundenen Waffen die russischen Verteidigungslinien durchbrechen und die russische Kampfkraft wirkungsvoll zerstören kann.
Die Ausbildung für diese Aufgabe findet auch im US-Ausbildungszentrum in Grafenwöhr in der Oberpfalz statt – ein weiteres Symbol des strategischen Verbunds zwischen USA und Deutschland. Bei Logistik und Instandsetzung sind beide Länder voll involviert. Die bevorstehenden Ausbildungen sollen auch die Fähigkeit zur Durchführung komplexer Operationen im Gefecht der verbundenen Waffen, samt Luftunterstützung, trainieren.
Eine solche Ausbildung kann man mit Artillerie und Schützenpanzer beginnen, aber die gepanzerten, gut bewaffnete Truppenfahrzeuge sind dazu konzipiert, zusammen mit schweren Panzern zu arbeiten. Panzer brauchen abgesessene Infanterie gegen Panzerabwehrraketen. Ohne Panzer sind Schützenpanzer gehärteten, weiter entfernten Kampfstellungen ausgesetzt. Die taktischen Sachzwänge sprechen dafür, den Ringtausch durch ein Paket schwerer Panzer westlicher Bauart zu ergänzen. Es ist wahrscheinlich, dass das nächste Treffen der Ramstein-Gruppe einem solchen Deal zustimmen wird – notfalls mit einer weiteren deutsch-amerikanischen Presseerklärung als Ouvertüre.
Deutschlands neuster Beitrag und Amerikas bisher größtes Rüstungspaket für die Ukraine soll Russland klar machen, wozu die Ukraine bald fähig sein wird. Das Signal ist deutlich: die Rückeroberung ukrainischen Territoriums steht an. Natürlich sollte man nie aufhören, über Verhandlungen zu sprechen, aber die Taten des Westens sprechen eine deutlichere Sprache. Trotz Energiekrise und Inflation ist der Westen in seinem Kampf für die Befreiung der Ukraine, unter amerikanische Führung und deutscher Beteiligung, nochmals einen Schritt weitergegangen.
Russische Eskalation kontern
Sind die Streitkräfte der Ukraine dazu fähig, die russische Okkupation der Ukraine rückgängig zu machen, muss man immer noch die Gefahr einer russischen Eskalation gegen NATO-Territorium oder mit Kernwaffen in der Ukraine kontern können. So gefährlich dies sein wird, noch gefährlicher wäre ein Szenario, in dem Putin in der Ukraine erfolgreich ist, um dann aus einer gestärkten Position heraus, erneut mit einer Eskalation zu drohen.
Deshalb war es für die NATO von Anfang an so wichtig, die Eskalationsdominanz an ihrer Ostflanke zu sichern. Die großen neuen amerikanischen Truppenkontingente werden erstmals in den neuen Frontstaaten der NATO verbleiben. Die Luftüberlegenheit und Informationsdominanz der ukrainischen Streitkräfte sollten Putin auch verdeutlichen, dass ihm der Einsatz von Kernwaffen keine militärischen oder politischen Vorteile bringen würde. Putins Absichten sind schwer zu erkennen, schwer zu beeinflussen, aber seine militärischen Optionen können ihm genommen werden – vor allem wenn Deutschland und Amerika im neuen Zweiklang besser dazu beitragen können.