von Andrew Denison
Jeder, der Jürgen traf und ihn seine Geschichten erzählen hörte, war gefesselt und fasziniert von seiner Beschreibung des Aufwachsens im Dritten Reich, des Eintritts in die Wehrmacht im Alter von 16 Jahren, der Führung eines Panzerzuges für drei Tage in der Operation Zitadelle, der schweren Verwundung, der Rekonvaleszenz für mehr als ein Jahr, wie er dem 506. Panzerregiment beitrat, an den Schlachten um Aachen teilnahm und dann nach dem 16. Dezember 1944 an der Ardennenoffensive, einschließlich der mehr als dreiwöchigen Operationen rund um den „Ring von Bastogne“, bevor er sich mit den Resten des Regiments nach Osten zurückzog, den Rhein überquerte und kurz an der Schlacht am Brückenkopf von Remagen teilnahm, bevor er bis zur letzten Kugel kämpfte und sich einem amerikanischen Offizier aus Kalifornien ergab, der ihm eine Zigarette anbot.
Ich traf Jürgen an einem Abend im Jahr 2016, nachdem ich einen Vortrag darüber gehalten hatte, wie die Amerikaner aus dem Brückenkopf von Remagen ausbrachen und sich heftige Kämpfe in der Gegend lieferten, in der ich lebe, dem Pleiser Hügelland, denselben liebenswert bukolischen Wäldern, Wiesen und Dörfern, durch die ich in den letzten 25 Jahren geradelt bin und den Geschichten der Einheimischen zugehört habe.
Am Ende meines Vortrags stand Jürgen auf, ein großer Mann, dunkles Haar, markante Gesichtszüge, wortgewandt. Er sagte,
„Ich war dabei, mit sieben Königstiger-Panzern, fabrikneu. Wir waren zwei Tage lang auf einem Bergrücken geparkt und warteten darauf, dass unsere Infanterie die Brücken über den Bach im Tal räumte – was sie nicht tat. Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, wurden wir aus der Linie gezogen, weil ein verzweifelter General dachte, er könne den Tag retten, indem er uns woanders hin verlegt. „
Dann hielt Jürgen eine Anstecknadel der Infanteriedivision „Big Red One“ hoch, um sie mir zu geben. Ich hatte gerade die Geschichte erzählt, wie das 16. Regiment der Ersten Infanteriedivision (berühmt geworden durch Omaha Beach) am 21. März 1945 mein Dorf Pleiserhohn befreite – drei Kilometer von dort entfernt, wo er mit seinen Königstigern gewartet hatte.
Das war der Beginn einer erstaunlichen Freundschaft, denn Jürgen teilte mit diesem neugierigen Amerikaner seine Geschichten aus einer dunklen und fernen deutschen Vergangenheit. Mit belangreichen Formulierungen und einem beeindrückenden Gedächtnis ließen seine prägnanten, methodischen Beschreibungen die Welt eines Wehrmachtssoldaten lebendig werden – an der Ostfront gegen die Russen und an der Westfront gegen die Amerikaner.
Mit seinen Erzählungen kam auch sein Fotoalbum, dessen erste Seiten den 16-jährigen Jürgen zeigen, noch in Zivil, in Formation mit seinen zukünftigen Kameraden, alles lächelnde, unschuldige Jungen. Auf der nächsten Seite des Albums listet er ihre Namen auf, die meisten von ihnen mit einem Kreuz. „Gefallen.“
Jürgen schlug eine Karriere ein, die in vielerlei Hinsicht noch heldenhafter war als sein Militärdienst, als Rechtsanwalt und dann als Verwaltungsbeamter im westdeutschen Verteidigungsministerium. Als Präsident des Wehrbereichskommandos 4 war er bis zu seiner Pensionierung 1989 für die Organisation der Einberufung und Versorgung zehntausender Bundeswehrsoldaten in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland verantwortlich. Nach seiner Pensionierung gehörte er der Kommission an, die prüfte, ob ostdeutsche Offiziere in der Bundeswehr, der „Armee der Einheit“, dienen konnten.
Nach der Wiedervereinigung genoss Jürgen das schöne Leben eines Pensionärs, fuhr Ski, wanderte und spielte Tennis. Die Welt der Soldaten und Waffen gehörte zu seiner Vergangenheit – bis er mich traf.
Unsere Gespräche waren immer faszinierend, aber seit ich Jürgen kennengelernt hatte, wollte ich ihn nach Bastogne mitnehmen, um bei der jährlichen Gedenkfeier zur Ardennenoffensive amerikanische Veteranen zu treffen. Ich erwähnte die Idee von Zeit zu Zeit, aber er schien immer recht zögerlich zu sein. Er wusste jedoch, dass ich einen anderen deutschen Veteranen, meinen Nachbarn Paul Golz, zweimal in die Normandie mitgenommen hatte.
Irgendwann begann Jürgen, sich für die Idee zu erwärmen. Er willigte ein, mit meiner Frau Ursula und mir nach Bastogne zu reisen, um amerikanische Veteranen zu treffen und seine Geschichte zu erzählen. Zweimal, 2018 und 2019, haben wir Jürgen und seinen Sohn nach Bastogne begleitet. Hinterher erzählte er mir, dass er Angst hatte, dass jemand in Bastogne aufstehen und ihn beschuldigen würde, seine Angehörigen getötet zu haben.
Das Gegenteil war der Fall. Jürgen wurde mit offenen Armen empfangen, mit Faszination, mit Applaus, vor allem, wenn er bei seinen ehemaligen Feinden war, sie umarmte, die Hand hielt – und nicht mehr losließ.
„Ich habe diesen Männern in die Augen geschaut und konnte mir nicht vorstellen, dass ich einmal auf sie geschossen hatte.
Eine ganz neue Welt der Freundschaft tat sich auf, aber es war mehr als das. Es war, als ob Jürgen auch an einem riesigen Forschungsprojekt mit einem ständig wachsenden Netzwerk von Europäern und Amerikanern beteiligt war, die zu verstehen versuchten, was auf den Schlachtfeldern geschah, auf denen Jürgen kämpfte, und die zu ergründen versuchten, wie es war, ein junger Mann unter solchen Umständen zu sein.
Sicherlich gab es Heldentum und großmütige Opfer, wenn nicht für das Vaterland, dann für die Kameraden, aber Hitlers Tyrannei, seine Vernichtungskriege, werden immer einen dunklen Schatten des Bedauerns, der Scham und des Unverständnisses über all die Anstrengungen, Opfer und Leiden werfen, die die Deutschen damals ertragen haben.
Jürgen bewegte sich mit großer Sensibilität und moralischer Klarheit auf dem schmalen Grat zwischen Erklärung und Rechtfertigung. Seine Geschichte, seine Fähigkeit, die Welt von damals wieder zum Leben zu erwecken, bewegte viele Menschen, die sich danach sehnten, das Unbekannte zu erfahren – wie Hitler eine ganze Generation, ein ganzes Land für ein selbstmörderisches Streben nach globaler Zerstörung und Weltherrschaft mobilisieren konnte. Vielleicht noch wichtiger, er bewegte die, die wissen wollte, wie es war, als Kind und dann als junger Mann Teil von Hitlers Kriegsmaschinerie zu werden und zu überleben, zurückzublicken und über die Bedeutung und die Lehren nachzudenken, nach vorne zu blicken und den Aufbau eines friedlichen, freien und wohlhabenden Europas zu erleben, wie es die Welt noch nie gesehen hatte.
„Aufgehetzt und zerfetzt“, sagte er und zeigte mir ein Bild seiner Abschlussklasse und wie viele der jungen Männer nicht zurückkehrten. Für mich war das ein wichtiger Teil seiner Geschichte, die niederträchtige Aufhetzung zum Kampf und der schreckliche Verlust, der darauf folgte. Jürgen hatte sicherlich ein tragisches Empfinden, aber seine Geschichte war viel mehr als das. Voller Ironie und Humor erzählte er von Menschen, die über sich selbst und andere lachten und darin ihre gemeinsame Menschlichkeit fanden. Kleine Taten der Freundlichkeit spielten in seinen Geschichten eine große Rolle, so dass sie weniger von Verzweiflung als vielmehr von Hoffnung handelten.
Und so stand Jürgen nach dem Krieg auf, staubte sich ab und half, Deutschland und Europa in ein goldenes Zeitalter des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands zu führen, wie es die Welt noch nie gesehen hat.
In der Tragödie die Komödie zu suchen, in der Verzweiflung die Hoffnung, das ist die große Lehre, für die ich Jürgen Tegethoff so dankbar bin.
Seine Geschichten bleiben für die Ewigkeit.
Sehen Sie sich einige an.
Lt. Jürgen Tegethoff´s New Year’s Battle of the Bulge Ride Home and Back
Bild: Nach 75 Jahren: Ardennen-Gegner von damalsVeteranen erzählen zwei Seiten EINER Geschichte
Diese Veteranen waren im Zweiten Weltkrieg Feinde, jetzt lachen sie miteinander | BILD Original Doku