Wenn man die Außenpolitik von Kamala Harris verstehen will, ist es gut, die Ansichten ihres nationalen Sicherheitsberaters, Dr. Phil Gordon, zu kennen. Bescheiden, aber hartnäckig, freundlich, aber bestimmt – so ist Phil Gordon und so könnte die Außenpolitik einer Präsidentin Kamala Harris aussehen.
Mehr Verantwortung für Europa?
Kaum jemand hat so viel Erfahrung in der außenpolitischen Beratung von US-Präsidenten wie Phil Gordon. Anfang der 90er Jahre haben Gordon und ich gemeinsam an der Johns Hopkins University (SAIS) in Washington D.C. promoviert. Wir hatten beide das gleiche Interesse an der Frage, wie Europa (er Frankreich, ich Deutschland) mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen könnte. Unser Doktorvater, David Calleo, hatte gerade ein Buch über die transatlantischen Beziehungen mit dem Titel Beyond American Hegemony veröffentlicht.
Als ich meine Dissertation in Bonn abschloss, war Gordon als Fellow der DGAP für ein Jahr ebenfalls in Bonn. Wir sind oft zusammen im Kottenforst joggen gegangen und haben über die Herausforderungen gesprochen, die Deutschland und Amerika auch heute noch beschäftigen. Wie kann Amerika an Europa gebunden werden, was kann Deutschland dafür tun?
Von Bill Clinton zu George W. Bush
Phil Gordon ging von Bonn nach London, wo er Senior Fellow und Herausgeber von Survival am renommierten International Institute of Strategic Studies wurde. Von dort wechselte er 1998 ins Weiße Haus nach Washington, wo er während der NATO-Osterweiterung und des Kosovokrieges als Direktor für Europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat unter Präsident Bill Clinton diente.
Mit der Wahl des Republikaners George W. Bush ins Weiße Haus wechselte Gordon zur Brookings Institution, Washingtons bekanntestem „Demokraten-nahen“ Think Tank, und gründete dort das Zentrum für die USA und Europa, das heute von der Deutschen Constanze Stelzenmüller geleitet wird.
Bei Brookings schrieb Gordon unter anderem 2004 das Buch Allies at War, in dem er Bush mangelnde Bescheidenheit nach 9/11 vorwarf, die das atlantische Bündnis beschädigt habe, und 2008 Winning the Right War, eine Blaupause für eine neue, geduldigere, auf Bündnisse gestützte Außenpolitik der Demokraten.
An der Seite von Barack Obama
2008 setzte Gordon auf Senator Barack Obama, unterstützte ihn und nicht Senatorin Hillary Clinton in den Vorwahlen. Als der Kandidat Obama im Spätsommer 2008 vor der Siegessäule in Berlin sprach, war Gordon dabei, war maßgeblich an der Vorbereitung der Rede Obamas beteiligt. „People of the world – look at Berlin, where a wall came down, a continent came together, and history proved that there is no challenge too great for a world that stands as one.” Mauern zum Abreißen, ja, aber auch Lasten zu tragen, mehr als je zuvor. „In this new century, Americans and Europeans alike will be required to do more – not less.”
Während Obamas erster Amtszeit von 2009 bis 2013 war Gordon Assistant Secretary of State for European and Eurasian Affairsunter Außenministerin Hillary Clinton und damit Leiter des größten Büros des Ministeriums mit einem Stab von fast 400 Mitarbeitern in Washington und mehr als 7.000 Mitarbeitern im Ausland sowie einem Budget von über einer Milliarde Dollar. Darüber hinaus galt es, Strategien zu entwickeln, wie z.B. die transatlantische Regelung der Raketenabwehr in Europa.
In Obamas zweiter Amtszeit kehrte Gordon von 2013 bis 2015 ins Weiße Haus zurück, wo er als Direktor für den Nahen Osten im Nationalen Sicherheitsrat arbeitete. Seine Netzwerke in Washington sollten seine mangelnde Erfahrung im Nahen Osten ausgleichen, schrieb die Daily Beast damals.
Der Bürgerkrieg in Syrien beherrschte die Schlagzeilen der Zeit und Barack Obama erntete Kritik, als er nach dem syrischen Giftgaseinsatz 2013, der seine selbsterklärte „rote Linie“ verletzte, nicht bereit war, Luftangriffe gegen die Regierung Assad zu fliegen. Im Nachhinein kritisierte Gordon diese Zurückhaltung. Es sei wichtig, konsequent zu sein. Obama hätte angreifen sollen, sagte er in einem Interview in der Atlantic nach seinem Abschied aus dem Weißen Haus.
Gordon spielte eine führende Rolle bei der Aushandlung des Nuklearabkommens mit dem Iran (JCPOA) und kritisierte Präsident Trump 2016, als er das Abkommen aufkündigte, aber auch den Iran für die Nichteinhaltung des Abkommens.
Trump aussitzen, US-Nahostpolitik kritisieren
In der Trump-Ära wechselte Gordon zum wichtigsten außenpolitischen Think Tank der USA, dem Council on Foreign Relations in Washington, wo er das Buch Losing the Long Game: The False Promise of Regime Change in the Middle East schrieb. Darin beschreibt er, wie taktische Fehler (militärisches Eingreifen in Bürgerkriege) strategische Ziele (langsame Demokratisierung) untergraben haben.
Gordon ist auch für sein Diktum bekannt: In Bürgerkriegen gibt es nichts zu gewinnen. Mit Bodentruppen, wie im Irak, ohne Bodentruppen, aber mit Luftangriffen, wie in Libyen, oder ohne militärische Intervention, wie in Syrien, ist nichts zu gewinnen. Mit anderen Worten: Bürgerkriege und Terrorangriffe kommen und gehen, Großmachtkonflikte bleiben bestehen.
An der Seite von Kamala Harris
Im Wahlkampf 2020 unterstützte Gordon die kalifornische Senatorin Kamala Harris bereits in den Vorwahlen. Sie zog sich früh zurück und Biden gewann die Kandidatur. Mit der Ernennung von Harris zu Bidens Vizepräsidentin trat Gordon jedoch in die neue Regierung ein und diente zunächst als stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater für Harris und ab 2022 als ihr Nationaler Sicherheitsberater.
Neben Europa und dem Nahen Osten haben sich Gordon und Vizepräsidentin Harris nun auch mit den politischen Herausforderungen im Indopazifik und in Lateinamerika befasst. Sie reisten um die Welt, arbeiteten an der Organisation einer Koalition gegen China im Indopazifik und an der Bekämpfung von Fluchtursachen in Lateinamerika.
Europa blieb jedoch für Harris und Gordon ein Schwerpunkt. Harris nahm als Vertreter Bidens an den letzten beiden Münchner Sicherheitskonferenzen teil und engagierte sich zuletzt in der Frage des multinationalen Gefangenenaustauschs mit Russland. Sie traf sich sechs Mal mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, zuletzt auf der Friedenskonferenz in der Schweiz.
Im Nahen Osten blieb Gordon weiterhin aktiv engagiert. Er war bei Kamala Harris im Einsatz für Zusammenarbeit mit den arabischen Länder für den Tag nach Krieg in Gaza vorbei ist, wie bei der Konferenz in Qatar. Gordon war in Juni auch persönlich unterwegs, um mit israelische Präsident Herzog und Präsident der palästinischer Behörde Mahmud Abbas zu treffen, um nach Kompromisse zu suchen. Ein „unusually high-profile trip“, berichtet die Jewish Insider.
Gordon über die Weltpolitik
Während dieser Reise nach Israel hielt Gordon auch einen Vortrag auf der Herzliya Conference 2024, wo man gut sehen kann, wie Phil Gordon Außenpolitik zu machen versteht. In einer Rede vor dem Council on Foreign Relations im Mai spannte Gordon den Bogen weiter und sprach über amerikanische Interessen und Strategien in der heutigen Welt.
Politico beschrieb Gordon kürzlich in einem Profil so: „Phil Gordon: Europe’s Ally on Kamala Harris´ Team.“ Die Financial Times spricht von „Phil Gordon: The Foreign Policy Pragmatist with Kamala Harris´ Ear.“
Lawrence Freedman, eine strategische Eminenz in Großbritannien, schrieb folgendes über Gordons Weltsicht:
Gordon reflects the views of a generation of policymakers who have had to come to terms with the mistakes made in Iraq and Afghanistan and are anxious not to repeat them. The logic of this position is that intervening with armed force to change a government you dislike is unlikely to end well. But it also means that at times it will be necessary to work with governments which do not share your values.
Gordon hat sich bisher geweigert, Interviews für die verschiedenen Zeitungsprofile zu geben, aber sein X-Account (@PhilGordon46) gibt einen Eindruck von seinen Einstellungen, und dieser Account ist inzwischen in die Schlagzeilen geraten, wie kürzlich in der New York Times, „Harris Doesn’t Support Arms Embargo on Israel, a Top Adviser Says“
Bescheiden, aber hartnäckig, freundlich, aber bestimmt
Gordon sieht die Grenzen amerikanischer Macht, aber auch die Notwendigkeit, amerikanische Macht weiterhin einzusetzen. Bescheiden, aber beharrlich wird eine Harris-Außenpolitik mit Phil Gordon sein.
Gordon sieht die Notwendigkeit, mit Verbündeten zusammenzuarbeiten, ob in Israel, Europa oder im Indopazifik, aber er weiß wie kaum ein anderer, wie wichtig es ist, dass die Amerikaner Verbündete als Partner sehen, die Lasten tragen, und nicht als Drückeberger mit entgegengesetzten Interessen. Freundlich, aber bestimmt wird eine Harris-Außenpolitik mit Phil Gordon sein.