Von Dr. Andrew B. Denison
Deutschland ist zu groß, zu reich und geostrategisch zu wichtig, um auf Einfluss zu verzichten, um der harten Konkurrenz mit Russland und China auszuweichen.
Die europäische Sicherheit braucht Deutschland in einer Führungsrolle bei der Bereitstellung von militärischen Fähigkeiten, bei der Entwicklung der Geostrategie und bei der Mobilisierung von Verbündeten für diesen andauernden Wettbewerb.
Mehr als Zusammenarbeit
Die Bundesrepublik muss eine neue Sprache finden, um der Herausforderung der Konkurrenz gewachsen zu sein. Im außenpolitischen Teil des Koalitionsvertrags steht das Wort „Zusammenarbeit“ 29-mal, das Wort „Konkurrenz“ nur einmal. Selbst das Wort „Konflikt“ kommt nur 9-mal vor, aber im Sinne von „Ursachen“ und „lösen“, nicht im Sinne von „bestehen“ oder „gewinnen“.
Zusammenarbeit ist wichtig, aber nicht ausreichend. Deutschland muss sich selbst schlagkräftig und konkurrenzfähig machen, als Vorbild dastehen. Deutschlands Entscheidungen sind nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten westlichen Verbund von größter Konsequenz. Die militärische Erpressbarkeit Europas hängt zunehmend von Deutschland ab.
Bei der gegenwärtigen Eskalation der Aggression aus Russland wie aus China findet sich die Bundesrepublik in einer neuen Lage – nicht mehr die von 1989, sondern eher die von 1949, allerdings mit deutlichen Unterschieden. 1949 stand Deutschland als geschlagene, geteilte, zunehmend den immer aggressiveren Russen ausgesetzte Trümmerlandschaft da.
Heute, ebenfalls anders als 1989, steht Deutschland als größtes, reichstes, geostrategisch wichtigstes Land Europas da – und vor einem Wettkampf mit Russland und China, wie die Welt ihn seit den heißesten Phasen des Kalten Krieges nicht gesehen hat.
Deutschland muss sich stellen
Ohne deutsche Führung im Sinne von gekonntem Einsatz der Machthebel, auch der militärischen Machthebel, ist das kontinentale Europa, wenn nicht der ganze Westen, zunehmend verwundbar gegen eine breitangelegte, gut durchdachte Offensive der autoritären, zum Teil totalitären Konkurrenz.
Ist Deutschland nicht schlagkräftig und konkurrenzfähig, gibt es keinen europäischen Verbund, keine NATO, die der Herausforderung aus Beijing und Moskau gewachsen ist.
Deutschland hat diese Gefahr nicht gesucht, aber jetzt muss es sich ihr stellen – so, wie die USA nach dem zweiten Weltkrieg sich zur Konfrontation mit Stalin und Moskau gezwungen sahen. Ob Deutschland es will oder nicht: Moskau, wie auch Beijing, sehen in dem, was sich in Europa aufgebaut hat, eine besondere Bedrohung ihrer Herrschaftssysteme.
Deutschland genießt wie kaum ein anderer diese offene, die Menschenwürde achtende, wohlhabende Ordnung, ist aber durch seine Lage und seinen Reichtum auch zum (noch schwachen) Schlüsselstein dieser Ordnung geworden.
Stärken zum Tragen bringen
Deutschland braucht die Strategie, die Organisation und die Nachhaltigkeit, um seine politischen, wirtschaftlichen, und militärischen Stärken in dieser existenziell wichtigen Konkurrenz zum Tragen zu bringen – aber auch um seine Schwächen zu erkennen, sie abzubauen. Deutschland braucht gut durchdachte Resilienz in allen Bereichen der Konkurrenz.
Europa als kleiner, exponierter Halbinsel ist es selten in der Geschichte gelungen, den Frieden zu erhalten und Meister seines Schicksals zu werden.
Ohne ein strategisches, konkurrenzfähiges Deutschland – ein Deutschland, welches die Fragen der künftigen Weltordnung und der eigenen Möglichkeiten, diese zu beeinflussen, in den Mittelpunkt der politischen Diskussion stellt – wird es in Zukunft auch so sein und bleiben.