02/12/2015

Die Zukunft der NATO in einer unruhigen Welt

Die NATO ist das erfolgreichste Bündnis aller Zeiten und ihre Bedeutung wird in der Zukunft nur noch steigen. Dieser Zusammenschluss von Nordamerika und Westeuropa in den Nachbeben des Zweiten Weltkrieges hat in den letzten 70 Jahren eine in Europa noch nie vorher gesehene Entwicklung von Frieden, Freiheit und Wohlstand errungen. Für Amerika war das die größte Erweiterung von Life, Liberty and the Pursuit of Happiness seit dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1865) und dem Schließen der westlichen Frontier (1890). In der NATO und darauf bauend in der Europäischen Gemeinschaft hat Westeuropa—mit Hilfe Amerikas—sich eine Friedensordnung gebaut, deren Anziehungskraft sowohl den Mauerfall wie auch die Wiedervereinigung katalysiert hat.

In der heutigen Welt ist die NATO wegen der westlichen Solidarität, die sie verkörpert, wie keine andere Institution dazu bestimmt, die Herausforderung der Zukunft zu meistern. Die NATO ist dafür da, die Grenzen Europas zu sichern, und diese Grenzen werden zunehmend global. Die andauernde Aufgaben der NATO—Kollektive Selbstverteidigung, Stabilitätsoperationen im Ausland, und Partnerschaftsprogramme mit den europäischen Nachbarn und anderen Industrieländern—stehen vor neuartige Herausforderungen. Revisionistische Staaten, transnationale Bürgerkriege und Bedrohungen der globalen öffentlichen Güter—Weltmeere, Weltatmosphäre, Weltall und Weltinternet—zeigen sich in neuer Form. Auf einer erfolgreichen Geschichte aufbauend, muss die NATO die Interessen und Mittel der Mitglieder immer besser kombinieren, um mit gut geübter operativer Kompetenz die Bedrohungen der Zukunft zu bewältigen.

Die Phasen der NATO-Erweiterung
Seit ihrer Gründung mit dem Washington-Vertrag von 1949 hat die NATO als ihre Hauptaufgabe die Sicherung der europäischen Grenzen und den Schutz der europäischen Regierungen vor militärischer Erpressung, also die kollektive Selbstverteidigung. Zwischen 1949 und 1969, in der ersten Phase der NATO, war die Aufgabe vor allem, die deutsch-deutsche Grenze und Westberlin vor den Armeen des Warschauer Paktes zu schützen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau militärisch zu garantieren.

In der zweiten Phase der NATO, von 1969 bis 1989, ging es um die Öffnung nach Osten. Aus Washington kamen mit Nixon-Kissinger Detente und Rüstungskontrolle, aus Bonn kamen mit Brandt-Scheel die Ostpolitik und Wandel durch Annäherung, aus Brüssel kam von der NATO die Harmel-Doktrin über die Notwendigkeit des Dialogs mit dem Osten. Diese Anstöße mündeten 1975 in einer Konferenz für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (KSZE). Der Öffnung und der Verwestlichung, die der KSZE-Prozess mit sich brachte, versuchte Moskau mit einer neuen Aufrüstung entgegenzuwirken, einschließlich neuer, auf Westeuropa gerichtete, kernwaffenbestückte Mittelstreckenraketen in der westlichen Sowjetunion. Gleichzeitig versuchte Moskau Ende 1979 durch eine (international verpönte) Invasion mit 100,000 Bodentruppen, die kommunistische Regierung in Kabul vor den Mujaheddin zu retten.

Amerika wählte darauf den Republikaner, Ronald Reagan, der den Konfrontationskurs gegen die Sowjetunion versprach. Reagan rüstete Amerika auf, dislozierte neue Kernwaffenraketen in Westeuropa und bewaffnete die Mujaheddin, die in Afghanistan gegen die Rote Armee kämpften. Zwischen Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa (Solidarnosc) und westlicher Überlegenheit in der Militärtechnologie sah der 1985 ernannte neue sowjetische Präsident, Mikhail Gorbachev, keine Alternative zu einer Öffnung und einer Abrüstung der Sowjetunion. In dieser glücklichen Konstellation ging der Kalte Krieg nicht mit aufsteigenden atomaren Pilzwolken zu Ende, sondern mit knallenden Sektkorken und jubelnden Mengen auf der Berliner Mauer. Doch die Aufgaben der NATO hörten nicht auf. Deutschland bekam zwar die Wiedervereinigung, aber Amerika erbte in Afghanistan ein neues Problem—Osama bin Laden und al Quaida. Und in Irak nach Ende des sehr blutigen Iran-Irak-Krieges (1980-1988) bereitete Saddam Hussein die Invasion von Kuwait vor.

In der dritten Phase der NATO, von 1989 bis 2009, ging es um die Konsolidierung des neuen, großen Europas, „geeint, frei und in Frieden“, wie sie sich George H.W. Bush schon im Mai 1989 in Mainz wünschte. (In Mainz äußerte er auch seinen Wunsch, mit (West-) Deutschland eine Partnerschaft in der Führung einzugehen (Partnership in Leadership)). Amerika erwartete in dieser erstaunlichen Zeit sehr große Leistungen von Deutschland. Amerika bestand auch darauf, dass ein wiedervereintes Deutschland volles Mitglied in der NATO sein müsste. Nach großem Streit darüber in Europa und in Russland, bewilligte Mikhail Gorbachev Deutschlands freie Bündniswahl bei seinem Gipfeltreffen mit Helmut Kohl am 15. und 16. Juli in Gorbachevs Heimat, Sewastopol. Die Wiedervereinigung Deutschlands war damit besiegelt.

Zwischen 1999 und 2009 erweiterte die NATO sich weiter, und zwar um 12 Mitglieder (Polen, Ungarn, Tschechische Republik in 1999; Estland, Lettland, Litauen, Slowakische Republik, Slowenien, Rumänien, und Bulgarien in 2004; Kroatien und Albanien in 2009). Daraufhin erweiterte die EU sich von 12 auf 28 Mitglieder. Die NATO führte auch zwei Luft-Kriege und dann zwei große Friedensoperationen auf dem Balkan, um dieses Europa – frei, ganz und in Frieden – zu sichern. Während NATO 1999 Serbien bombardierte, war Mohammed Atta in Hamburg-Harburg dabei, seine Pläne für 9/11 vorzubereiten.

Dieser Schlag gegen den Westen löste den ersten (und bisher einzigen) Verteidigungsfall der NATO aus. Die Botschafter entschieden, am 12.11., „The Alliance determined that the US had been the object of an armed attack. The Alliance therefore agreed that if it was determined that this attack was directed from abroad, it would be regarded as covered by Article 5.“ 2002 behauptete sogar der deutsche Verteidigungsminister, Peter Struck„die Sicherheit Deutschlands wird jetzt auch am Hindukusch verteidigt“. Die Bedrohung durch den fundamentalistischen Islam und revisionistische Staaten in dem Europa sehr nahen Nahen Osten ist ein Problem der unmittelbaren europäischen Peripherie. Wie die heutige Flüchtlingskrise zeigt, ist das Mittelmeer eher das mare nostrum Europas als seine Außengrenze. Mit Arabern, Persern und Osmanen haben die Europäer schon lange zu tun gehabt. Die Herausforderungen aus dem Pazifik hingegen sind neu. China und Nordkorea waren in der Zeit vor Obamas „Asian Pivot“ von Europa sehr weit weg.

Mit der Präsidentschaft von Barack Obama fing die nächste Phase der NATO an. In Obamas eigener Biographie wie in seinen strategischen Zielen—Amerika aus den Kriegen (und Verpflichtungen) im Nahen Osten herauszuziehen, eine strategische Wendung Richtung Asien zu unternehmen, und Fragen wie Klimawandel, Kernwaffenproliferation, Cybersicherheit, Seuchenschutz und Flüchtlingen mehr Aufmerksamkeit zu geben – sahen wir nicht nur ein Amerika, das ständig zwischen Pazifik und Atlantik austarieren muss, sondern auch ein Amerika, das zunehmend die Probleme global statt regional definiert. Wenn die NATO dafür da ist, die Grenzen Europas zu sichern, dann muss man auch erkennen, dass diese Grenzen zunehmend global sind. Die NATO wird in ihrer nächsten Phase der Globalisierung der Sicherheitsprobleme gerecht werden müssen.

NATO und die globalisierten Bedrohungen der Zukunft
In der heutigen Welt ist die NATO wegen der westlichen Solidarität, die sie verkörpert, wie keine andere Institution dazu bestimmt, die Herausforderung der Zukunft zu meistern. Die Zukunft bringt noch nie vorher gesehene Möglichkeiten des Fortschritts—und der Zerstörung. Die Zukunft bringt vor allem eine „Moore’s Law“-Welt der exponentiell steigenden Verdichtung der menschlichen Kontakte und Kommunikation, angekurbelt durch eine beschleunigende Fähigkeit zur Datenspeicherung und Verarbeitung. Sehr bald haben alle 7,3 Milliarden Erdbewohner ein Super-Smartphone; in dem bevorstehenden Internet-of-Things werden Milliarden von Geräten auch sehr schnell sehr smart werden. Je wichtiger diese Netzwerke der datenverarbeitenden Zusammenarbeit werden, desto notwendiger ist es, die Bedrohungen solcher Netzwerke zu verstehen und abzuwehren.

Die Bedrohungen von Heute entstehen im Kontext der Globalisierung, also im Kontext der sich ausbreitenden Vernetzung und Mobilität der Menschen. Mit der Globalisierung kommt ein Wohlstandswachstum wie noch nie, aber auch Gefahren in neuem Gewand. Der Guru der Futurologen, Alvin Toffler, Autor von War and Anti-War und Future Shock, sagt, so wie wir Geld verdienen, machen wir auch Krieg— im Informationszeitalter also Informationskrieg.

Wir hoffen, dass die Probleme in diesem Jahrhundert weniger gefährlich werden, als die im letzten Jahrhundert. In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Toten in Kriegen dramatisch gefallen. Die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze hat sich in den letzten 35 Jahren halbiert.

Statistik Kriegstote
Statistik Armut

Die Gefahren scheinen weniger existentiell als im Kalten Krieg, doch die NATO wächst an Bedeutung. Die Probleme sind heute anders, sie verlangen aber Zusammenarbeit und gegenseitiger Rückversicherung wie noch nie. In Staat, Wirtschaft, Gesellschaft, schaffen Menschen neue Synergien mit neuen Partnern in einem steigenden Tempo. Die Vernetzung schreitet rasant voran und die NATO ist darauf zugeschnitten, die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik zu fördern, die unsere zunehmend vernetzte Welt verlangt.

Wir sehen revisionistische Staaten und ihre neue Art der Hybrid-Kriegsführung; wir sehen zugleich transnationale Bürgerkriege im Nahen Osten, die sich auf Europa ausweiten, weil die Kriegspartien sich in sozialen Netzwerken gut verkaufen können und weil die Grenzen nach (und in) Europa offen sind.

Die Global Commons, also Weltmeere, Weltatmosphäre, Weltraum und Weltinternet, stehen vor besonderen Bedrohungen. Die Sicherheit dieser öffentlichen Güter, die gemeinsamen Wohlstand fördern, verlangt gemeinsame Lösungen unter souveränen Nationalstaaten. Keine einfache Aufgabe. Ob Piraten oder chinesische Marine, ob gegen Containerschiffe oder Untersee-Kommunikationskabel, ob Treibhausgas oder Radioaktivität von einem AKW-Unfall, ob durch Anti-Satellitenwaffen oder versehentliche Kollision und Kettenreaktion im Weltall, ob durch digitale Angriffe, die Teile des globalen Internets lahmlegen—die Bedrohungen der Global Commonserweitern sich Tag für Tag und relativieren dadurch auch die rein militärischen Bedrohungen der Landesgrenzen. Flüchtlinge, dagegen, überqueren die Landesgrenzen so häufig und einfach wie noch nie zuvor.

Technologien des Massenterrors werden in unserem hypermedialen Zeitalter schwer vorhersehbare psychologische und politische Wirkungen haben. Denken Sie nicht nur an 9/11 in Amerika, sondern auch an das Attentat in Paris auf Charlie Hebdo. 80,000 Polizisten beteiligten sich an der Suche nach den 2 Tätern. Am ersten Tag nach dem Attentat vom Freitag, den 13. November 2015, erklärte Francois Hollande, Frankreich sei „im Krieg“ und ordnete den nationalen Notstand an. Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber, James Stavridis, forderte auf, die NATO-Beistandsklausel auszurufen und einen NATO-Krieg gegen den IS zu führen. Krisenstimmung herrschte in Frankreich–mit all den politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Wir wissen noch nicht, wie Europa auf Schlimmeres reagieren wird, also auf sein eigenes 9/11. Dass die Zusammenarbeit zwischen Westeuropa und Amerika wichtiger denn je sein wird, steht aber außer Zweifel.

NATOs andauernde Aufgaben konfrontieren neue Herausforderungen
Die Nato stellt heute wie in der Vergangenheit ihre Aufgaben in folgender Reihenfolge dar:

  1. Kollektive Selbstverteidigung
  2. Stabilitätsoperationen im Ausland
  3. Partnerschaftsprogramme mit den europäischen Nachbarn und anderen Industrieländern wie Japan oder Australien.

Kollektive Selbstverteidigung
Die wichtigste Aufgabe der NATO ist die kollektive Selbstverteidigung der 28 Mitglieder, legitimiert durch Artikel 51 der UNO-Charter und untermauert durch Artikel 5 des Nordatlantikvertrages.

Artikel 5

Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.

In diesem Vertragstext sehen wir die qualifizierte Natur der Bündnis-Garantie. Jede Partei unternimmt „… die Maßnahmen … die sie für erforderlich erachtet“. Vom diplomatischen Demarche bis zur Atombombe—jede nationale Hauptstadt entscheidet letztendlich für sich alleine. Der Vertrag bedeutet also keine automatische militärische Beistandspflicht, sondern nur die allgemeine Zustimmung, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere … als ein Eingriff gegen sie alle angesehen wird“. Eine gut geübte eigene Militärorganisation mit Hauptquartier (SHAPE) in Mons, Belgien, und einem amerikanischen General als Oberbefehlshaber (z.Z. Gen. Philip Breedlove), gibt der NATO-Garantie mehr Glaubwürdigkeit—und Systematik, die Beiträge der Mitglieder zu messen. Doch die Frage der gegenseitigen Solidarität plagte dieses (wie jedes) Bündnis von Anfang an. Die Größe der nationalen Verteidigungsetats, auch die Festigkeit der amerikanischen Nukleargarantie, sorgte seit Beginn des Bündnisses für Kontroverse und Schuldzuweisungen. Dies gilt auch heute. Folgende Meinungsumfrage von Pew Research Center hat im letzten Sommer z.B. für viel Furore gesorgt. Hier zeigt sich eine Mehrheit der Deutschen (58%) als nicht bereit, anderen NATO-Mitgliedern militärischen Beistand zu leisten.

Statistik Bündnissolidarität

Dass die Bundesrepublik Deutschland, einst von allen anderen NATO-Mitgliedern verteidigt und wiederaufgebaut, jetzt beim Vergleich der Verteidigungsausgaben ziemlich weit unten liegt, sorgt ebenso für Vorwürfe aus manchen Mitgliedsstaaten.

Verteidigungsausgaben der NATO

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Dies muss erwähnt werden, um daran zu erinnern, dass Systeme der kollektiven Verteidigung (NATO) und der kollektiven Sicherheit (UNO) der Theorie nach unter zwei Problemen leiden. Erstens, die Trittbrettfahrer (Amerika wird Europa sowieso verteidigen, daher ist es für Europäer rational, ihrer Verteidigungsausgaben niedrig zu halten). Zweitens, die Definition von Aggression (Wie viele Verstöße gegen UNO-Resolutionen darf ein Saddam Hussein sich erlauben, bevor er sanktioniert wird? War Russlands Annexion der Krim eine Aggression oder eine Ausübung der Selbstbestimmung?). Heute stellt sich die Frage der Definition von Aggression besonders brisant in Fällen von Cyber-Angriffen, „Grünen Männern“ ohne Uniform-Markierung, oder auch Bomben-Angriffe auf Aleppo, die mehr Flüchtlinge nach Europa treiben.

Seit dem NATO-Gipfel von Wales (Sept. 2014) ist die NATO mit verschieden Programmen und Operationen dabei zu zeigen, sie könne alle möglichen militärischen Optionen Moskaus erfolgreich abwehren. NATO-Beamte sprechen jetzt von einem neuen Playbook, das sie verfolgen, um weiter eine ausreichende und glaubwürdige Abschreckung sicher zu stellen. Der amerikanischen Kongress hat in den letzten zwei Jahren zwei Milliarden Dollar bewilligt, um zusätzliche Übungen und Lagerung von Geräten in Europa zu ermöglichen, unter der European Reassurance Initiative. Die von der NATO initiierte Atlantic Resolve errichtet neue Kommandostellen bei den östlichen Mitgliedern, mehr Ausbildung und Übung, NATO Baltic Air Policing, und eine aufgestockte schnelle Eingreiftruppe, die Very High Readiness Special Task Force (VJTF). All diese Initiativen sind dazu gedacht, der militärischen Entwicklung im Westen Russlands gewachsen zu sein. Nach neuen Verpflichtungen in Wales sollten die Verteidigungshaushalte aller Mitglieder auf 2% des BIPs steigen. Bisher haben nur die USA, Großbritannien, Polen und Griechenland dieses Ziel geschafft. Dennoch – Putins Militäroffensive in der Ukraine hat den Westen geeint, nicht geteilt. Dazu hat die NATO als Quelle der Solidarität und Plattform der Koordination einen großen Beitrag geleistet. NATO ist dabei, die kollektive Verteidigung auf die neue Bedrohung aus Russland anzupassen.

Stabilitätsoperationen im Ausland
Militäroperationen außerhalb der NATO kamen erst mit dem Ende des Kalten Krieges. Dies fing mit der Zusammenarbeit der NATO-Mitglieder in der Befreiung von Kuwait im Frühling 1990 an, die formell ohne NATO-Kommando—aber wohl mit NATO-Prozeduren und Interoperabilität—geführt wurde. Kurz danach begann die NATO selbst, Auslandseinsätze auf dem Balkan zu führen. Ab 1992 etablierte die NATO eine Flugverbotszone über Bosnien. Nach dem Massaker von Srebrenica (1995) führten die darauffolgenden NATO-Luftangriffe und die kroatische Bodenoffensive zum Dayton-Friedensplan. Die NATO dislozierte dann 60.000 Bodentruppen in Bosnien, um diesen Friedensplan durchzusetzen.

Während NATO 1999 in Washington sowohl sein 50. Jubiläum wie auch seine (kontroverse) Erweiterung um Polen, die tschechische Republik und Ungarn feierte, befanden sich fast 1000 Kampfflugzeuge der NATO-Länder in der vierten Woche einer Luftkampagne mit 38.000 Einsätzen über 12 Wochen. Diese sollte den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic von seiner Politik der Vertreibung der Kosovo-Albaner abbringen—und ihn dazu führen, eine NATO-Truppe hereinzulassen. Milosevic stimmte dem am 9. Juni zu und 40.000 NATO Bodentruppen besetzten Kosovo, die abtrünnige Provinz Serbiens. Bei den Balkan-Operationen gab es keine NATO-Bodenkämpfe und auch keine NATO-Verluste. Seit 1999 gibt es einen NATO-Frieden im ehemaligen Jugoslawien. Dieser Frieden und die verbleibenden 4600 NATO-KFOR Truppen sind teuer, aber nicht so teuer wie der Krieg.

Mit 9/11 richtete die NATO ihre Aufmerksamkeit auf entferntere Krisen, vor allem in Afghanistan. Heute sind immer noch 12.000 NATO Truppen in Afghanistan, eine NATO Operation, die jetzt im 14. Jahr ist. In den ersten Amtsjahren von Barack Obama, mit seinem Surge in Afghanistan, war die Zahl der von NATO geführten Truppen auf 140,000 gestiegen, davon 100.000 davon Amerikaner, fast 5.000 davon Deutsche. Kurz danach folgte Obama die Europäer in einer NATO-geführten Luftkampagne gegen Muammar al-Gaddafi–die allerdings ohne Bodentruppen nicht fähig war, al-Gaddafis Herrschaft mit einem nachhaltigen Frieden zu ersetzen. Libyen bleibt ein vielfrontiger Bürgerkrieg—und eine Herausforderung für die NATO.

Heute lässt Afghanistan die NATO nicht los, die Taliban zeigt sich immer wieder zu größeren Offensiven fähig. Gleichzeitig stellen sich neue Herausforderungen im Nahen Osten. So sagte der stellvertretender NATO-General Sekretär, Alexander Vershbow, “In the south, every NATO Ally is supporting the US-led coalition against ISIL, whether as part of the air operations against ISIL targets or through training and equipping Iraqi security forces.“ Nach dem Pariser Attentat vom 13.11. wird die NATO sicher eine noch größere Rolle im Kampf gegen IS spielen.

Partnerschaften
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Auflösung des Warschauer Paktes (1991) unternahm die NATO große Anstrengungen, Beziehungen zu den europäischen Mitgliedern des Warschauer Paktes, wie Polen oder Litauen oder Bulgarien, aber auch den neuen unabhängige Republiken der Sowjetunion wie Kasachstan oder Usbekistan aufzubauen. NATOs Partnerschaft für den Frieden fing 1994 an und hat zurzeit 22 Partner. 2002 wurde in Folge der ersten Erweiterungsrunde Russlands Status aufgewertet, mit einem NATO-Russland-Rat als Form der besonderen Partnerschaft—der allerdings wieder etwas abgewertet wurde durch die Entscheidung der NATO, auch einen besonderen NATO-Ukraine-Kommission zu etablieren. Die militärische Zusammenarbeit und Anerkennung, die Moskau im NATO-Russland-Rat genoss, hat die NATO mit Moskaus Annexion der Krim beendet. Dafür ist die NATO-Ukraine-Kommission umso wichtiger geworden, und diese Partnerschaft bekommt auch besondere NATO Trust Funds für Ausbildung und Ausrüstung. Partnerschaften mit Nordafrika und dem Nahen Osten sind seit 9/11 vertieft worden, und verstärkten sich weiter im Laufe des arabischen Frühlings. Doch hat die NATO es schwer, eng mit den Militärs dieser Regionen zusammenzuarbeiten, ohne deren Korruption und Menschenrechtsmissbrauch zu kritisieren. Dies wiederum verhindert die Bereitschaft der Regierungen der Region, mit NATO Verpflichtungen einzugehen.

Die globalisierte Zukunft
In die Zukunft schauend, sieht die NATO drei Kategorien von Problemen, die zu bewältigen sind. Zuerst geht es um revisionistische Staaten wie Russland, Iran, China und Nordkorea, die eventuell ihr Militär zu Erpressung der NATO-Mitglieder einsetzen können. Dass China und Nordkorea weiter weg sind, heißt nicht dass Krisen oder Kriege im Pazifik nur geringe Auswirkungen auf Europa haben würden. Im Gegenteil, Angst und Abschottung würden sich wie ein Flächenbrand verbreiten, was nicht nur den europäischen Wohlstand gefährden kann, sondern auch den europäischen Frieden.

In ähnlicher Weise stellen die zerfallenden, bürgerkriegsgeplagten Staaten dieser Welt eine Bedrohung der europäischen Grenzen dar. Die humanitären Katastrophen lassen den Ruf laut werden, man solle intervenieren, mit Schutzzonen oder Flugverboten. Die lokalen Kämpfer werden immer wieder die Nachbarländer und die Großmächte als Teil des Kampfes sehen. In diese Konflikte bleibt die NATO verstrickt, ob in Afrika, dem Nahen Osten, oder künftig eventuell auch in Asien.

Als dritter Bereich wird sich NATO zunehmend mit der Sicherung der öffentlichen Räume der Welt, die Global Commons, beschäftigen. Die Freiheit und Sicherheit der Weltmeere bleibt ein vitales Interesse der NATO-Mitglieder. Die Atmosphäre der Erde, sowie die Verhinderung des Klimawandels und der Umgang mit den Konsequenzen, werden für die Sicherheit der NATO von immer größerer Bedeutung. Der Freiheit und Sicherheit des Weltalls wird NATO zunehmend beschäftigen. Letztlich ist die Funktionalität und Integrität vom Cyberspace, also die Netzwerke der globalen Kommunikation und Datenverarbeitung, für die Sicherheit der NATO-Staaten von existentieller Bedeutung. Das Internet ist das Rückgrat der Weltwirtschaft, wenn nicht der Weltzivilisation. Die, die Daten klauen, manipulieren oder zerstören können, haben die Fähigkeit, Bankkonten zu löschen, Strom auszuschalten, militärisches Gerät lahmzulegen. Cyberangriffe sind Bedrohungen, die im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Himmelsrichtungen kommt. Hierbei stellt sich nicht nur die Frage, wie viel Verteidigung genug ist, wieviel Redundanz und Resilienz man braucht, sondern auch, ob neben Verteidigung die abschreckende Wirkung einer potenten Angriffsfähigkeit, sogar eine gesicherte Zweitschlagskapazität dazu gehört. (Wenn Sie meinen Strom ausschalten, kann ich trotzdem auch Ihren Strom ausschalten…)

Zum Schluss gilt es nochmals zu unterstreichen: bei den neuen wie bei den alten Problemen ist die NATO einmalig in ihrer Fähigkeit, die Interessen und Mittel der Mitglieder zu kombinieren, um mit hoher operativer Kompetenz die selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Als erfolgreichste Allianz aller Zeit hat sie wie keine andere internationale Institution die Macht und die Verantwortung, die Probleme der Zukunft zu bewältigen. Diese Probleme werden globaler in ihrer Natur. Die NATO auch.